Wolfram Goslich: last exit Teheran – von Reisefeeling, Pandabären und Klimaanlagen…
China ist schon so weit weg, über 3.500 Kilometer – 10 komplette Reisetage und dazu die Tage, die wir irgendwo in der Steppe an Grenzen rumgestanden und gewartet haben.
Die Sonne geht über der Wüste unter - in Turkmenistan, in der Dämmerung sind nur noch schemenhaft einige Steppengrasbüschel erkennbar, die kleinen gelben Lämpchen am Horizont zeigen entgegenkommende LKW an. Die Piste nach Mary ist besser als von Elena, unserer russischen Begleiterin durch das Steppenland des Turkmenbashi, prophezeit wird – aber das ändert sich, wie wir dann noch sehen!
Aber noch mal zurück an die Grenze nach Korgas, dort wo die kasachische Steppe beginnt.
Um den ganzen Irrsinn, den Grenzen mit sich bringen, zu verstehen, muss ich es einfach erlebt haben, sonst könnte ich es nicht kapieren. Seit Tagen blicken wir täglich in die endlose Öde und Stumpfheit ausstrahlenden, ungepflegten Gesichter irgendwelcher Zöllner mit schlecht sitzenden Klamotten, denen wir ihre Arbeitsplätze (welche Arbeit?!) in diesen verlassenen Grenzkäffern mittlerweile von ganzem Herzen gönnen.
3 ½ Tage hatten wir in Korgas auf der chinesischen Seite verbracht und jeden Tag aufs Neue gehofft, wir kämen nun endlich rüber. Wir haben alle notwendigen Papiere, die Kasachen haben allerdings im Eiltempo einen „Tag der Hauptstadt“ als Feiertag für Dienstag, den 6. Juli angesetzt. Also wird am Montag, den 5. Juli nicht gearbeitet, alle Grenzen dicht. Da legen die Chinesen gleich nach und öffnen ihre Grenzabfertigung erst wieder am Mittwoch, den 7. Juli. Es fehlen uns bereits 2 Tage und Joe, unser chinesischer Begleiter, macht uns wenig Hoffnung für den Mittwoch „eh die ganze Maschinerie wieder anläuft“…
Liu, der für die eigentliche Kommunikation mit den Zöllnern zuständig ist, sehen wir kaum, er wartet und geht durch die Niederungen chinesischer Bürokratie. Abends geht er lieber ohne uns essen, weil ihm das Ganze schon peinlich ist, obwohl er nun wahrlich nichts dafür kann. Die Grenzbehörden sind mit uns durch, aber das entscheidende grüne Licht kommt aus Urumqi, der Provinzhauptstadt und da muss man eigentlich seine direkten Kontakte haben, um jemanden zur Arbeit zu bewegen.
Bis etwa 13 Uhr macht es viel Sinn zu hoffen, dann machen die chinesischen Zöllner, die eh erst um10.30 Uhr beginnen zu arbeiten (weil die Kasachen mit 2 Stunden Zeitunterschied um 8.30 Uhr anfangen, vorher ist alles dicht, kein rein, kein raus) ihre Mittagspause. Wenn die Mittagspause dann um 16 Uhr vorbei ist, geht’s langsam wieder los. Die Essenspause wird intensiv genutzt, damit wenigstens deren Verdauungsorgane etwas zu tun haben.
Reisender, willst Du nach Korgas, wir können Dir sagen, wo Du gut und wo Du weniger gut essen, schlafen, Karaoke singen oder Haushaltsartikel für 9 Yüan das Stück bekommen kannst. Wir kennen uns aus. Ina holt morgens frisch dampfendes Brot vom Uiguren, ich starte jeden Morgen im Hof die Maschine unseres 455 PS Luxusschlittens, um Kaffee zu kochen, der seinen Namen verdient und den wir mit ins Frühstücksrestaurant nehmen, mittlerweile ein vom Personal selbstverständlich toleriertes Ritual. Abends ziehen wir uns mit gut gekühltem Bier und angenehm kühler Raumtemperatur im Bus Filme zum Thema Seidenstraße rein.
Das lässt jeden Bahnreisenden in Deutschland vor Neid erblassen. Die Klimaanlage zeigt erst ab 40° C jedem Gast, was der Bus so drauf hat, vorher merkt ein Busreisegast gar nichts, indes der Bahnkunde bereits völlig dehydriert zusammengebrochen ist, nachdem der Zugchef alle Türen ordnungsgemäß verrammelt hat.
Ich erinnere noch einmal an den deutschen Konsul in Shanghai, der seine Begrüßung mit der Frage einleitete, was jemand dazu treibt, solch eine anstrengende Reise mit dem Bus zu machen. Was würde er wohl heute einen Bahnpassagier zur Wahl des Verkehrsmittels fragen? Mal ganz nebenbei an alle Busunternehmer in Deutschland: Wie nutzt ihr eigentlich die Steilvorlage der Bahn? Und ganz ehrlich: Der Aufkleber „Klima schonen – Bus fahren“ ist ja nun wirklich mehr als dünn, na Klasse, wie früher die grünen Obsttüten auf den Märkten, wo draufstand „ esst mehr Obst“!
Donnerstagnachmittag, wir glauben es kaum, soll es losgehen, Irgendjemand hat in Urumqi interveniert, auf einmal geht’s. Klamotten in den Bus, Zimmer räumen, Schlüssel abgeben, das Hotelpersonal kennt das schon und lächelt vielsagend, also rein in den Bus, Motor an, los. An der Grenze angekommen, setzt passend zur Dramatik des Augenblicks der tägliche Gewitterschauer ein. Jeden Tag um halb sechs, wir müssen schnell durch sein, sonst machen die Kasachen auf der anderen Seite zu.
Ewiges Hin und Her, wie wir wo lang gehen und mit welchen Stempeln versehen durch die Kontrolle laufen, ich fahre den Bus in den Zollhof, um mich kümmert sich keiner mehr. Ich hab Ruhe, trinke Kaffee, rauche eine Hongtashan (chinesische Marlboro) und beobachte, wie kasachische Kleinhändler ihre Einkäufe in den Bus nebenan wuchten, dessen Mitteltür nicht mehr schließt und dann irgendwann mit Draht festgerödelt wird. Der Bus fährt weiter. Ich bin allein und warte zwischen den LKWs; rechne mir die Zeit bis Almaty aus, unser Ziel für diese Nacht. Die Luft ist gewittergereinigt und dann kommt ein chinesischer Zöllner und bedeutet mir, auszusteigen. Mache ich, nur als er mir zeigt, ich solle den Bus von außen abschließen, kommen mir Zweifel. Und dann sehe ich etwas weiter entfernt die anderen hinter dem Zaun mit enttäuschten Gesichtern.
Es wird klar: Wieder zurück ins Hotel, noch ne Nacht in China. Die Kasachen haben schon Feierabend, der chinesische Zöllner hatte zu früh Feierabend gemacht, uns fehlen am Ende nur wenige Minuten, also alles raus für die Nacht, Bus ist gecheckt, bleibt im Zollhof, gut bewacht vom Militär und wir lassen uns mit Dreiradtaxis ins Hotel karren. Immerhin die gleichen Zimmer, das Personal kennt uns, im Ort kennt man uns auch schon, wir werden freundlich gegrüßt, fast wie alte Bekannte, die man ne Weile nicht mehr gesehen hat und wir malen uns beim Abendessen im Stammlokal schon aus, wie es dann ist, hier zu leben, mit Jobs in der Sozialverwaltung, als Bewegungslehrerin für kleine chinesische Kinder und ich als Linienbusfahrer zwischen Yining, Urumqi und Korgas im chinesischen Schlafbus.
Neue Runde, neues Glück: Freitagmorgen wieder mit den Dreiradtaxis zum Grenzübergang, alle zu Fuß. Wir sind rechtzeitig da, um einzuschätzen, wo am heftigsten gedrängelt werden wird, wenn die Chinesen das Gatter öffnen. Kasachische Kleinhändler sind einfach Grenzprofis, wissen, wo wann wie geschubst und gedrängelt werden muss, die kasachischen Frauen entwickeln wenige Minuten später ungeahnte Energien, schaffen es sogar, mich zunächst abzudrängeln, bis ich sämtliche Manieren fallen lasse und als einer der ersten gnadenlos durchkeile. Dem Tempo können nicht alle anderen folgen, schließlich sind wir dann alle hinter dem Gatter, zügig zum Abfertigungsgebäude, dort wieder keilen, Gepäckscanner!
Scheinbar freundliche Sonderbehandlung unserer Gruppe auf einer Extraspur, die sich als Sackgasse entpuppt, unsere kasachischen Konkurrenten sind längst durch und bei uns wissen die Chinesen wieder mal nicht, ob und wie sie uns abfertigen sollen. Jeder Pass dauert dann etwa sieben bis neun Minuten. Wir haben zwei Pässe, um alle notwendigen Einreisevisa zu haben, weil die Bearbeitungszeit auf den Botschaften solange dauert.
Dann zum Bus, dann wieder Passkontrolle am Fahrzeug, nochmal Buskontrolle, dann losfahren – bis zum ersten Posten für die Ausreise. Dann Busausreisedokument vorweisen, abstempeln lassen, aber nicht dort, sondern da, wo wir gerade herkommen. Ich also zu Fuß zurück mit dem Beamten. Dort, an einem kleinen Mäusegatter, wieder warten, dann Aufnahme aller meiner Personalien auf einem Stück Papier: Die Straße, in der ich in Berlin wohne, die Hausnummer, Unterschrift. Dann wieder zurück zum ersten Ausreiseposten. Die zwei jungen Chinesen, die das machen, interessieren sich so stark für die Münzen in der offenen Getränkekasse, dass ich sie erstmal zumache. Die kriegen von mir nichts. Dann noch mal anhalten, chinesisches Salutieren, um dem Ganzen einen Anschein von Korrektheit und Klarheit zu verleihen und wir sind wirklich raus aus China und jetzt rein nach Kasachstan. Das Ansehen des Berufsstandes steigt bei uns trotz der relativ zügigen Abfertigung von ca 1 ½ Stunden für sechs Passagiere + Bus nur unmerklich, der Oberaufseher ist erkältet und hat einfach keine Lust viel aufzuschreiben, ein Umstand der einen Tag später fast zum Fiasko gerät.
Der kasachische Osten liegt dichtgrün vor uns, die gefalteten Hügel sind von einem zartgrünen Velourteppich überzogen, es hat schon lange nicht mehr soviel im Sommer geregnet, vor zwei Wochen so viel, dass riesige Flächen völlig verschlammt sind und ich den Bus in der Mitte einer links und rechts völlig versandeten Asphaltpiste fahre. Am Horizont blitzt es immer wieder grell, die Viertausender sind in pechschwarze Wolken gehüllt, riesige Regenschleier ziehen an den Bergen entlang, die Temperatur fällt in wenigen Minuten um mehr als 15 Grad. Visuelle Entschädigung für Tage voller Öde.
Die kleinen Straßendörfer sind so völlig anders als in China und ich weiß nicht so genau, wo ich bin. Osteuropa, Balkan, Russland, Zentralasien, gefühlsmäßig schwer zu lokalisieren. Landschaftlich auf jeden Fall schön. Hirten reiten ihre kleinen schlanken Pferde, ganze Herden grasen auf den endlos weiten und schönen Steppenwiesen.
Über 400 Kilometer sind es bis Almaty, dort wartet Alain, der als zweiter Chauffeur zusteigt. Er ist glücklich an Bord, wir wühlen uns durch den Feierabendstau raus aus der größten kasachischen Stadt, das übliche Abendgewitter setzt ein mit massiven Sturmböen. Äste kommen runter, ich beobachte argwöhnisch die sich wirklich stark biegenden Pappeln direkt an der Straße. Ne halbe Stunde später ist es vorbei, der Stau noch lange nicht und die Nacht bricht an. Wir haben so viel Zeit verloren, dass wir einfach fahren müssen. Der Wind aus dem greifbar nahen TienShan-Gebirge nimmt stark zu, ganze Wellen von Steppengrasbüscheln werden über die Fahrbahn geweht, wir fahren kurzzeitig über ganze Haufen davon.
Die Wolken in der Nachtdämmerung sind wirklich dramatisch. Ein kurzer Stopp an einem kasachischen Truckstop mit Neonpalme und wohlschmeckender Suppe. Kasachische Jugendliche zücken ihr Fotohandy vor der Kulisse des roten Riesen aus Freiburg.
In Kasachstan bei Nacht zu fahren, ist nicht unbedingt zu empfehlen, aber für uns unumgänglich. Schwach bis gar nicht beleuchtete LKW auf der Überlandstraße nach Bishkek, unzählige Nachtbusse kommen uns auf der Fernstraße parallel zur kirgisischen Grenze entgegen; der größte Teil dieser Strecke eine einzige Schotterpiste neben der Baustelle für eine neue Fernstraße. An der Straße von Glühlampen erhellte Veranden, darauf stehen die Kangs, Holzpodeste mit kleinen Tischen. Darauf lümmeln sich die Gäste, meist Fernfahrer, Händler, alle, die nachts unterwegs sind oder bei dieser Hitze einfach nicht schlafen können. Ein anheimelndes Bild. Hat etwas von Urlaub im Süden, dabei durchqueren wir eine Region, die zur Zeit alles andere als Urlaub im Kopf hat, Hunderttausende sind aus Kirgistan geflüchtet, wir wissen das, aber wir sehen es nicht.
Wir brauchen zum Fahren absolute Konzentration. Die Sicht ist schlecht, weil vor uns fahrende LKW Unmengen Staub aufwirbeln, die Bahn verschwindet im Nebel, immer wieder kurze Umleitungen auf Rüttelpisten, immer auf Schlaglöcher und Bodenwellen achten, völlig fest im Sitz sein, um schnell mit Bremse und Kupplung reagieren zu können und bloß nix übersehen. Aber wir gewöhnen uns schnell daran. Unser Zwischenstopp Taraz, eine kleine südkasachische Stadt, rückt langsam näher. Eine Weile fährt der Nachtzug nach Taschkent mit uns auf gleicher Höhe, nur an den erleuchteten Abteilfenstern erkennbar. Der Wind nimmt spürbar zu, in der Morgendämmerung werden schnell dahinziehende Wolkenfetzen erkennbar, die Fünftausender zur Linken sind in dichte Wolken gehüllt. Um halb sechs am Morgen erreichen wir Taraz, schlafen zwei Stunden und dann geht’s weiter, heute laufen unsere kasachischen Visa ab und es ist Sonnabend, kein guter Tag, eine Grenze zu überqueren.
Kurzer Kaffeestopp an der Landstraße in Shimkent auf dem Weg zur usbekischen Grenze, wir brauchen noch jede Menge kasachische Tenge zum Tanken, die Verhandlungen zum Geldwechsel an einem Zigarettenkiosk ziehen sich etwas länger hin, bis wir unseren Kurs bekommen. Beim Tanken treffen wir ein Pärchen mit einem Geländefahrzeug aus dem Fränkischen auf dem Weg in die Mongolei.
Es ist schon Nachmittag und langsam werden wir unruhig, die Fahrerei zieht sich, zwischenzeitlich wissen wir nicht genau, ob wir auf der richtigen Straße sind, Sergey kennt sich nicht sehr gut aus, ist zu müde und hat noch ganz andere Probleme. Schließlich, nach einer Linkskurve, kommen wir in ein ganz kleines Dorf mit zwei, drei Kneipen und dann, mitten im Dorf, der Zollhof! Wir haben es geschafft! Das Dorf sieht so unscheinbar aus, kaum zu glauben, dass dort eine internationale Grenze sein soll. Hier kommen LKW durch, die von Istanbul nach Almaty vier Wochen und länger brauchen, so erzählt uns jedenfalls Tarik, der einen gelben Volvo-Sattelschlepper mit Baumwolle aus Kasachstan nach Istanbul bringt.
Alle steigen aus, um zu Fuß über die Grenze zu gehen. Alles recht unkompliziert, meine Abfertigung, deren Passkontrolle, die Zöllner wollen eigentlich nur Bier und WM-T-Shirts, entscheiden sich dann aber für Werbeschreibblöcke eines chinesischen Hotels, die ich endlich los werde. Alle Papiere fertig, die üblichen Zöllnervisagen und weiter.
Ich fahre den Bus aus der Kontrolle raus und sehe, dass kein Durchkommen ist: Jjede Menge LKW vor mir, die sich vor der usbekischen Seite zurückstauen und während ich überlege, wie ich da rauskomme, kommt plötzlich ein kasachischer Zöllner und fordert mich auf, den Bus an der Seite abzustellen und mitzukommen. Irgendetwas stimmt nicht. Ernste bis ratlose Gesichter, unsere Transitgenehmigung ist angeblich nicht vollständig.
Glücklicherweise erkennt mich der Englisch sprechende Zöllner von der Hinfahrt wieder, der einzige, mit dem ich überhaupt reden kann. Den interessiert zwar zunächst nur, wie toll ich denn Kasachstan finde (na ganz toll!!!), aber ich muss dranbleiben. Die anderen haben einfach keine Lust bzw. keine Ahnung, wie sie mich abfertigen sollen. Mit den Kollegen werden offensichtlich verschiedene Varianten unsere Abfertigung diskutiert, entnehme ich jedenfalls den Gesten. Er erklärt mir dann, was ich zu zahlen hätte, ich stimme zu, was soll ich sonst machen, will wissen, ob in Dollar oder Euro, aber so einfach ist das nicht. In der Wechselstube ist keiner mehr da, es muss in Tenge gezahlt werden und so sieht es schlecht aus, weil ja auch Sonnabend ist und kaum jemand mit etwas Kompetenz da ist. Das gibt der Zöllner indirekt auch zu und schleppt mich erstmal mit in die Kantine. Da will ich gar nicht hin, aber da sitzt sein Chef und isst. Mir wird bedeutet, diesen nicht groß anzuschauen. Es hänge viel von dessen gutem Willen ab und wenn der isst, dann dauert das.
Taktisch vorsichtige Annäherung: Essenseinladung annehmen, obwohl mir schon seit einer Stunde der Appetit vergangen ist. Etwas bewegt sich, wenn auch unmerklich. Dann ist es raus: Um das Dokument, das unsere Ausreise ermöglicht und meine Zustimmung zur Zahlung des Betrages belegt, muss ein staatlich geprüfter Übersetzer her. Da würde selbst Sergey, unser Reiseleiter, nicht helfen können, abgesehen davon, dass ich den auf dem Handy eh nicht erreiche.
Den Verweis darauf, vielleicht morgen einen Übersetzer zu finden, kommentiere ich mit dem Hinweis, dass morgen Sonntag sei und das Ganze dadurch noch schwieriger sei. Jetzt scheint auf seiner Seite der Gedanke einzusetzen, uns das ganze Wochenende im Zollhof zu haben und der Gedanke ist ihm sichtlich unangenehm.
Die Zeit läuft mir davon, die anderen sind schon auf der usbekischen Seite. Ich hab‘ wenigstens kalte Getränke und etwas zu essen, ich will gar nicht weiterdenken. Jetzt kommt erstmal der Stempelparcours: klassische Zöllnermentalität, Grenzgänger zu beschäftigen, um selber raus zu sein. Von den sieben Stempeln, die ich mir jetzt bei allen möglichen Beamten holen soll, ist einer davon der Grenztierarzt. Was soll ich da noch nachfragen? Ich mache ihm noch mal eindringlich klar, dass die Usbeken drüben dichtmachen und dann geht alles ganz schnell. Der Chef macht einen russischen Text, der mir die Anerkennung meiner Ausreise gegen Zahlung von 450 US $ vorlegt, dazu drei Unterschriftsproben von mir, die jeweils gestempelt werden, die Kohle wird kassiert und erstmal von ihm in einen diskreten Umschlag gesteckt. Die Situation und auch die wenigen Minuten, die mir noch bleiben, machen eine Frage nach einer Quittung von vornherein völlig überflüssig. Dem Englisch sprechenden Zöllner lasse ich für seine Hilfsbereitschaft (ich glaube, der wollte einfach nur Englisch sprechen, ein bisschen wichtig sein und von dem Geld sieht nur sein Chef etwas) ein hochgeschätztes Reisesouvenir, das mir zur Belustigung aller in China mal zugedacht war, in einem kleinen Beutel über den Tresen wachsen: Hasso, ein gut gewachsener deutscher Schäferhund aus Hartplastik, der kraft seines Ausdrucks jedem zeigt, wo der Hammer hängt.
Die Zeit rennt, den Rest erledige ich im Laufschritt. Jetzt wollen mich die Kasachen loswerden und haben mir schon eine Gasse zwischen Dutzenden LKW, die nach Kasachstan einreisen wollen, frei geräumt, ich fahre also auf der Gegenspur raus aus diesem Land – nichts wie weg hier. Es ist das 2.000-Kilometer-Wochenende China – Turkmenistan. Von Samarkand am nächsten Morgen weiter, zahlreiche Checkpoints, an denen wir auf Weisung nicht mehr anhalten. Es ist ähnlich wie in China: runterbremsen, langsam an den Kelle schwingenden Polizisten ranfahren, zustimmend lächeln und wieder dezent Gas geben – funktioniert! Kommt keiner hinterher!
Die Ausreise aus Usbekistan am Sonntag wieder durch solch ein seelenloses Wüstenkaff, Kulisse für Kaurismäki Filme. Der bräuchte nicht mal Requisiten ranschleppen, so trostlos sieht’s dort aus. Hätte ich gerne fotografiert, aber das hätte unseren Aufenthalt sicher enorm verlängert. Das einzig Moderne an Turkmenistan, das mir in Erinnerung bleibt, ist das Zollgebäude dort: Nagelneu, gute Klimaanlage und wir kriegen sogar Stühle angeboten, das gab’s noch nie. Ansonsten jede Menge Stempel, dreifache Aufnahmen von Personalien der Fahrer und natürlich Bargeld – Straßensteuer. Wofür, bleibt ein Rätsel, die dortigen Straßen waren mit die schlimmsten auf der ganzen Reise.
Wir sehen schon, dass es wieder nach Mitternacht werden wird, bis wir im Hotel sind, essen unterwegs in Turkmenabat und damit wir den Bus vernünftig parken können, kommt wieder der Panda bei den Polizisten zum Einsatz, die uns bei dieser Gelegenheit gleich kontrollieren. Wirkt aber Wunder, die Polizisten lächeln, der Bus kann sicher geparkt werden und wir essen in Ruhe.
Mary, eine der trostlosesten Städte, die ich auf der ganzen Reise sehe, mitten rein gebaut, hell erleuchtete Prunkbauten des Diktators, nachts noch über 30° C, die Zimmer im Hotel winzig, Normalvollzug, die Klimaanlage effektiv, es riecht nach starken Reinigungsmitteln, aber nach maximal sieben Stunden sind wir wieder weg.
Elena, unsere Begleiterin, kennt sich auf der Strecke nicht sonderlich gut aus, das verraten die regelmäßigen Stopps, an denen sie nach dem Weg fragt. Was sie uns nicht verrät und was erst kurz vor der Grenze an der Vorkontrolle klar wird: Sie hat mit uns eine Abkürzung genommen, die von unserem offiziell genehmigten Routing abweicht. Wir hatten uns schon seit Stunden gewundert, dass uns auf der einzigen Piste Richtung Iran keine LKW mehr entgegenkamen und ich im Schnitt mit 30 km/h um bösartig tiefe Schlaglöcher rumgekurvt bin. Bis das geklärt ist, vergeht ne halbe Stunde, die Steppe ist mit 43° C brüllend heiß, regelmäßig bilden sich Windhosen, die Unmengen gelben Wüstenstaub aufwirbeln und an uns vorbei über die Piste wirbeln. Wir schenken den Grenzsoldaten, die gerade versuchen, in der Hitze ein Mittagessen zu zaubern, unsere gesamten Alkoholvorräte, die bei der Einreise in den Iran mit Sicherheit Probleme bereiten würden.
Salam Iran! Endlich gute Straßen, zwischen Mashhad und Teheran sind wir auf einem Expressway, der inklusive Landschaft, Beschilderung und Tankstellendesign wie eine US-Interstate-Autobahn in New Mexico aussieht.
Polizeikontrollen, Checkpoints mit Anmeldung der Reisenden eines jeden Busses(!). Mit den vielen Schwerlast-Oldtimern ist der Iran ein LKW-Museum, auf einmal sind wir am Stadtrand von Teheran und ich bin am Ziel meines Teils der Reise angelangt. Hier ist Schluss für mich. Das geht dann auf einmal so schnell und doch waren es etwa 17.000 Kilometer, von denen ich die Hälfte am Lenkrad verbracht habe.
Damit ich mich an den letzten Morgen gut erinnern kann, an dem meine Reisegefährten weiterfahren, wechsle ich mit Alain morgens um sechs auf der Straße noch schnell einen Reifen, die Nachlaufachse hat einen Platten. Aber auch ohne Reifenwechsel werde ich diese einmalige Reise nicht vergessen, es war einfach eine supergeile Zeit!
Der Tag in Teheran spiegelt noch einmal die Art und Weise der meisten Begegnungen mit den Menschen auf unserer Reise wider, offene Gesichter, kontaktfreudig, aufgeschlossen, viele lachende Gesichter und das in einem Land, wo es schon seit Jahrzehnten nichts zu lachen gibt. Im Basar wollen die Leute ein Foto von mir gemacht bekommen. Mmit ein paar jungen Männern sitze ich auf dem Dach ihres Pickup und fotografiere sie, ein weiterer lädt mich auf ein Glas Tee ein, der Fladenbrotbäcker holt mich direkt an seinen Ofen in der Backstube, damit ich alles aufs Bild bekomme. Auf dem Bus Terminal South will eigentlich jeder Busfahrer aufs Bild, meist zusammen mit Kollegen, am vorderen Einstieg, beim Tee in der Kofferklappe oder am Lenkrad. Abgesehen von dem Taxifahrer, der von mir am Ende der Fahrt das Zehnfache des vereinbarten Preises haben will, noch einmal eine Erinnerung an zwei Monate unzähliger interessanter Begegnungen und ein paar Lachfalten mehr in meinem Gesicht.
Den vereinbarten Taxipreis hab ich übrigens auf den Beifahrersitz geschmissen, mich umgedreht und bin gegangen.
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