Türkei – Iran
Zunächst noch ein Nachtrag zur Türkei, denn inzwischen sind wir schon im Iran. Manches ist wirklich besser in der Türkei als bei uns, z.B. gibt es ein hervorragend ausgebautes Straßennetz, die meisten Landstraßen vierspurig ausgebaut mit Mittelstreifen, ähnlich wie bei uns die Autobahnen. Denn Fernreisen finden mit höchst modernen Autobussen statt, nicht mit Zügen. Wir kamen durch Kayseri (ehemals Caesarea, interessant, dass Caesar im Türkischen auch zum Kaiser wurde), eine Stadt von ca. 300.000 Einwohnern in Kappadokien. Todschicke Straßenbahnen, viel eleganter als die unseren. An jeder Ampel leuchtet über den drei Farben rot, gelb und grün ein weiteres Licht, das die Sekunden angibt, die die Ampel noch grün bzw. rot ist. Das sorgt für erheblich entspanntere Aufenthalte, wenn man an der Ampel warten muss. Wie beim Start einer Rakete wird rückwärts gezählt: 5, 4, 3, 2, 1 und bei Null springt die jeweils andere Farbe an.
Toiletten sind ein Thema für sich. Klopapier ist unbekannt – außer in den Hotels. Bei den Sitzklos gibt es eine Wasserdüse, die man einschalten kann und die das Klo gewissermaßen in ein Bidet verwandelt. Die Reinigung findet statt mithilfe dieses Wassers und der linken Hand (weshalb sie auch die „unreine“ ist). Seit Ostanatolien gibt es (außer in den Hotels) nur noch Stehklos – an Raststätten eigentlich viel hygienischer als die Sitzklos. Da heißt es dann Hosenbeine hochkrempeln und ZIELEN, damit es nicht spritzt! Ein Töpfchen Wasser unter einem Wasserhahn steht bereit zur Reinigung. Wir dreckigen Ausländerinnen ziehen Tempotaschentücher vor.
Überwältigend aber ist die Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen. Auch diejenigen, die bei uns kaum ähnliche Erfahrungen gemacht haben dürften, zahlen uns nicht etwa mit gleicher Münze heim, sondern beschämen uns mit ihrer Liebenswürdigkeit.
26.04. Montag 13. Tag Dogubeyazit – Täbriz
Die Nachtruhe war um 5 Uhr beendet, Abfahrt um 6, denn es war nicht sicher, wie lange wir an der Grenze brauchen würden. Zunächst mussten wir mindestens eine halbe Stunde Schlange stehen, um den türkischen Ausreisestempel zu bekommen. Dann hinein ins Niemandsland zwischen den Grenzposten. Nun mussten wir Frauen unsere Kopftücher aufziehen. Großes Gejuchze: jede hatte ihren eigenen Stil, einige wickelten sich eine Art Turban um den Kopf, andere drapierten ihr Tuch mehr oder minder elegant (ich eher minder, bis ich gestern Abend drauf kam, dass die Turbanlösung wohl die beste ist). Vorher hatten wir uns schon über den Po reichende und langärmelige Blusen, Jacken oder extra für diesen Zweck erworbene „Manteaus“ angezogen. Und es hieß die Uhr umstellen, von halb acht (in Deutschland halb 7) auf 9 Uhr. Dann dauerte es nochmal bis etwa 12 Uhr, bis wir alles hinter uns hatten.
Hier im Niemandsland empfing uns auch Reza, unser Gottesgeschenk von Reiseleiter. Er hat in Deutschland studiert und spricht sehr gut deutsch. Ein rührender Mensch, ungeheuer besorgt um uns und sich um jeden einzelnen freundlich kümmernd. Das ist auch nötig, denn wenn es in der Reisebeschreibung hieß, dass wir „nichts, aber rein gar nichts mehr zu lesen vermögen“, dann bedeutet das, dass wir nicht einmal die Zahlen lesen können!!!! Also auch nicht, was etwas kostet! Wie soll man da handeln können? Denn das ist in diesen Ländern geradezu Pflicht. Mal abgesehen davon, dass 20.000 Rial etwa 1,30 Euro wert sind und wir uns schwer tun mit den vielen Nullen. Dieses Gefühl der totalen Abhängigkeit ist schon ganz schön nervend. Ich kann jetzt nachfühlen, wie es Frauen gehen muss, die als Anhängsel ihrer Männer nach Deutschland kommen, kein Deutsch lernen dürfen, weil sie im Hause gehalten werden, und sich praktisch gar nicht alleine bewegen können. Reza ermahnte uns daher auch, uns nicht alleine zu bewegen, sondern immer als Gruppe, und schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Bloß keine Wertsachen bei sich haben, Geld nur in kleinen Mengen und gut versteckt. Übrigens: Frau gibt einem Mann nicht die Hand und fragt auch auf der Straße nur Frauen nach dem Weg!
Aber zunächst kam die Fahrt nach Täbris. Die Landschaft West-Aserbeidschans ist in der Tat atemberaubend. Zunächst fuhren wir über eine baumlose, kaum bewohnte und nicht bewirtschaftete Hochebene, die zu beiden Seiten in der Ferne durch erodierte, nicht sehr hohe Berge begrenzt war. Da es geregnet hatte, waren die Wiesen saftig grün und blühten zum Teil schon, selten eine Schafherde, noch seltener ein Dorf. Manchmal ein einzelner Mensch oder zwei, die etwas suchen. Reza erklärt: Es gibt hier wilden Sellerie, Safran, Rosmarin und andere Kräuter, vor allem Heilkräuter, die von den Leuten gesucht werden. In den meist armseligen Dörfern einstöckige Lehmbauten, die man aber nur teilweise sehen kann, weil jedes Gebäude noch einen großen Hof hat, der durch eine haushohe Lehmmauer umgrenzt ist. Dies ist der Ort, an dem die Frauen sich auch einmal ohne Kopfbedeckung oder Tschador im Freien bewegen dürfen.
Langsam wird die Landschaft hügeliger, die Berge am Rand höher und teilweise schneebedeckt. Man sieht jede Falte und Schicht dieser Karstgebirge, die in der Abendsonne in den unterschiedlichsten Farben von Ocker über Rot bis Braun glühen. Die Ebene zwischen den Bergen ist jetzt nicht mehr grün, sondern Steppe. Ab und zu eine Oase mit Dorf, mit Feldern und sogar Bäumen. Wunderschön. Die Thadeuskirche, die wir unterwegs besichtigen, ist ein armenisches Heiligtum, wo sich jedes Jahr im Juni Armenier aus aller Welt versammeln. Sie heißt auch schwarze Kirche, weil bei ihrem Bau auch schwarzer Stein verbaut wurde.
Wir trafen dort auf eine Schulklasse von 13-/14jährigen Mädchen, bezaubernd anzusehen in ihren dunkelgrünen Schuluniformen und hellgrünen Kopftüchern, zunächst sehr schüchtern, dann aber zutraulicher, sodass wir sie auch fotografieren durften. Großes Gekicher, viel Neugierde, wenige Brocken Englisch. Ganz anders die Schulklassen der schwarz gekleideten Mädchen, die wir heute im aserbaidschanischen Museum antrafen. Die waren überhaupt nicht schüchtern, sondern fanden unsere Aufmachung offensichtlich ungeheuer komisch (das ist sie auch, wenn man sie mit der Kleidung der meist schwarz gekleideten anderen Frauen hier vergleicht), lachten schallend los und konnten sich kaum beruhigen, kamen auf uns zu und wollten unbedingt mit uns fotografiert werden. So oft wie heute, sagt Heidi, sei sie in ihrem ganzen Leben noch nicht fotografiert worden. Jetzt werden die Kinder zu Hause zeigen können, was für merkwürdige weibliche Clowns sie unterwegs getroffen haben. Ich konnte eine von ihnen dazu bewegen, auch eine Aufnahme mit meiner Kamera zu machen, sodass auch ich etwas zu zeigen habe.
Täbris ist eine Millionenstadt mit abenteuerlichem Verkehrsaufkommen. Die Autos fahren wie in Neapel, wenn ihr wisst, was ich meine. Wir hatten beim Hineinfahren das Gefühl, uns stundenlang durch einen Stau zu mühen – bis der Scheff uns erklärte, dass Reza uns wirklich großartig um den eigentlichen Stau herumgeleitet hätte! Zebrastreifen überquert man scheinbar nur unter Lebensgefahr, aber letztlich halten die Autos dann doch. Die Straßen voll mit Menschen, hier wie auch in der Türkei sieht man Männer mit kleinen Kindern auf dem Arm und sogar Kinderwagen schiebend. Die meisten Frauen mit schwarzen Tschadors. Schuhe werden in kleinen Werkstätten auf dem Bürgersteig repariert! Es gibt einen großen Park mit einer hohen Mauer drum herum, der ausschließlich Frauen vorbehalten ist. Hier dürfen sie ihre wallenden Gewänder, Kopftücher etc. ablegen, joggen oder sich anderweitig vergnügen.
Heute im aserbaidschanischen Museum sehr schöne Artefakte aus dem 1. vorchristlichen Jahrtausend, hergestellt von Sassaniden, Parthern und anderen Völkern. Ich werde ein paar Bilder schicken. Außerdem die blaue Moschee aus dem 15. Jahrhundert, die so heißt, weil sie ursprünglich vollkommen blau verkachelt war. Ca. 300 Jahre nach ihrem Bau allerdings gab es ein 2 m hohes Hochwasser, was die unteren Kacheln zerstört hat, ein Erdbeben im 18. Jahrhundert schuf weitere Zerstörung, auch der Minarette, von denen nur noch die Basis steht. Sie galt aber mal als die schönste Moschee der Welt.
Danach der Besuch des Bazars, sehr lebendig, aber für mich nur kurz, ich musste mich mal wieder abseilen, und dieser Tatsache verdankt ihr meinen Bericht von heute. Aber was es da alles zu kaufen gibt! Silberne und güldene Spiegel (riesig und klein) mit abenteuerlichen Verzierungen, glitzernde Kleider und Schuhe, Haushaltswaren, Hühnerbeine oder ganze Tiere usw. Köstliche Nüsse und Trockenfrüchte, und die üblichen orientalischen Süßigkeiten. Aber Kitsch as Kitsch can!
Erleichterung: im Hotelzimmer darf frau sich endlich des heißen und (trotz Haarwäsche) juckenden Kopftuchs entledigen! Und morgen heißt es wieder um 6 Uhr aufstehen: Die Fahrt nach Teheran steht an.
Eigentlich ist dies das Ende meines vierten Berichts, aber auf dieser Reise kommt manches anders als man denkt. Heute Morgen um 8 Uhr war die Abfahrt von Täbris nach Teheran. Nach etwa anderthalb Stunden wurden wir von einer Polizeistreife auf der Autobahn angehalten. Angeblich war der Bus 120 gefahren, wo man nur 100 fahren durfte. Nur: der Bus ist gedrosselt und KANN gar nicht schneller als 100 fahren. Reza versuchte, das zu erklären, worauf der Polizist die Tachoscheibe sehen. Aber unser Bus ist so modern, dass er gar keine Tachoscheibe mehr hat, weil ab 2006 alle neu zugelassenen Fahrzeuge einen digitalen Tachographen brauchen. So weit sind die hier aber noch nicht, so dass sie nichts damit anfangen können. Ergebnis: Wir mussten hinter dem Polizeiwagen wieder zurück nach Täbris fahren, wo wir um 12 Uhr ankamen. Seither warten wir darauf, dass der Scheff mit Reza vom Amt wieder zurückkommt, aber eben – um halb drei! – kam der Anruf, dass sie mit dem Taxi auf dem Wege seien. Inzwischen stand der Bus vor einer Polizeiwache, und wir waren in einen Park gegangen, haben dort herumgesessen und gewartet. Hoffentlich wird es bald losgehen, vor Mitternacht dürften wir kaum in Teheran sein.
Viertel vor drei: der Scheff ist da mit einem Arm voller Brotfladen, denn zu Essen gab es die ganze Zeit natürlich fast nichts, außer ein paar Keksen. Während der Bus sich wieder durch das Täbrizer Verkehrschaos wühlt, erzählt er: Zwar sei die Reise als Ganze genehmigt gewesen, beim Grenzübertritt sei jedoch nur eine Genehmigung bis Täbriz erteilt worden, bzw. es hat halt ein Stempel auf dem Formular gefehlt. Es bedurfte mehrerer Telefonate mit Teheran, um die Bestätigung zu bekommen, dass wir tatsächlich durch den ganzen Iran fahren dürfen. Außerdem gibt es seit 8 Monaten eine neue Bestimmung: Busse müssen an jeder Polizeikontrolle anhalten und sich wieder einen Bestätigungsstempel holen. Dies gilt auch für iranische Busse. Aber immerhin: es ist jetzt drei Uhr und wir fahren wieder. Bald wird es Brotfladen geben mit den Resten von Käse vom letzten Picknick (rationiert natürlich, denn viel ist nicht mehr da), aber wir sind zufrieden, die Stimmung ist ausgezeichnet, die von mir zu Beginn vermutete Flexibilität der Mitreisenden hat sich bestätigt.
Um 23 Uhr kamen wir am Hotel an, bekamen noch eine Suppe und ein Salatbüffet, um Mitternacht war ich schließlich in meinem Zimmer, wo ich den Lichtschalter ohne Hilfe des Hotelboys nicht gefunden hätte, aber Wlan gibt es, und so kann ich dies endlich wegschicken.
Barbara Volhard
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