Nachtigall, ick hör‘ dir trapsen…
Nachtigall, ick hör dir trapsen, das ferrarirote Wohnzimer rollt bald in Shanghai ein und es ist daher Zeit für diesen Beitrag.
Zunächst einmal möchte ich all meinen Mitreisenden höchstes Lob aussprechen für ihre Beiträge im Blog. Dem ist nichts hinzuzufügen, nur eben mein eigener „Traum der Nachtigall“.
Mein Koffer für die Reise war im letzten Augenblick deutlich schwerer geworden, als ich ihn noch am 13. April gepackt hatte. Wäre es nur nach China gegangen, so wäre ich mit ca. 13 Kilo aufgebrochen.
So las ich jedoch (allerdings nicht in den Unterlagen von Avanti), dass für die moslemischen Länder (also alle außer Italien und Griechenland) Langärmeliges und insbesondere für den Iran Schickes und Modernes unbedingt von Nöten sei, ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Temperaturen, die man während des Reiseverlaufes zwischen Freiburg und Almaty im April und Mai auf verschiedenen Niveaus über dem Meeresspiegel zu gewärtigen habe. Also rüstete ich am Vorabend der Abreise noch um sage und schreibe gute sieben Kilo auf und hatte damit schon bei Abreise mein Flugrückreisegepäckgewicht erreicht. Zumindest rein rechnerisch verbot sich damit der Kauf von Mitbringseln.
Ein unmögliches Unterfangen !
Bis Isfahan siegte die Kaufverweigerung über die Kauflust, aber dann dort im Basar fing es mit einer wunderschönen blau bedruckten Tischdecke an. War es Zufall oder eine Vorsehung? Am Morgen nach dem Kauf begrüßte mich Ina Jander besonders aufmerksam und freundlich zum Frühstück und fragte, wie ich geschlafen hätte. Schon die ganze Reise hatte ich davon geträumt, alles Verzichtbare nicht von Almaty ( Ort meines Abfluges am 23. Mai) aus mit nach Deutschland zurückzutransportieren, sondern bis zur Rückkunft des Busses am 23. Juli im voluminösen Bauch desselben zu belassen, was jedoch leider schon auf dem europäischen Teil der Route von Hans-Peter für alle durchs Mikrofon abgelehnt worden war. Obwohl ich diese Ablehnung vom Scheff akzkeptiert hatte und auch nachvollziehen konnte, saß mir in diesem Augenblick der Schalk im Nacken und daher beantwortete ich Inas Frage folgendermaßen: „Ich hatte einen wunderbaren Traum. Frau Jander erschien mir und rief mir liebevoll zu, ich dürfe ein Täschchen packen und darin alles verstauen, was ich zwischen dem 23. Mai und dem 23. Juli nicht bräuchte.“ Dabei schaute ich sie mit den schmachtendsten Augen an, derer ich fähig bin. Ihre Nichtreaktion ließ mich innerlich erschauern.
Da man bei Nichtreaktion jedoch nicht sicher sein kann, ob das Gegenüber einen überhaupt gehört hat, fragte ich untertänigst nach, was von ihr huldvoll mit „Ick hab die Nachtigall schon mit Skistiefeln trapsen hören.“ beantwortet wurde. Welch niederschmetternd abschlägiger Bescheid für eine von ihrem schweren Gepäck geplagte Nachtigall! Da die Nachtigall jedoch Gefallen an dem Tanz (und weiterer Bewegung) mit den Skistiefeln gefunden hatte, legte sie nun nach jedem neuerlichen Kauf eine neue flotte Sohle aufs Kommunikationsparkett mit Ina Jander. Erfolglos - bis fast zuletzt. Erst in Bishkek, kurz vor Abflug der Nachtigall, bot sie an, die erwähnte Tischdecke in ihr eigenes Gepäck einzuarbeiten. Zu spät. Die Nachtigall hatte durch Klimmzüge mit den Skistiefeln an ihren Füßen ihre Oberkörpermuskulatur so gestärkt, dass sie ihren eigenen Koffer problemlos nach Hause transportieren konnte.
Und da liegt die Tischdecke nun und schaut wunderschön aus.
Und die Nachtigall zwitschert ein Hohelied auf Ina Jander, Hans-Peter Christoph, Stefan Reif, Wolfram Goslich und Toli Reklin für deren Begleitung, Lenkung und Beruhigung bei ihrer Erkundung der Lüfte und des Bodens zwischen Freiburg und Almaty.
Magdalena Heuer-Lenarz
Wolfram Goslich: Xi’an – Gegensätze auf einem Quadratkilometer
Sonntag, fünf Uhr Nachmittag, ich trinke Tee. Von meinem Hotelfenster habe ich einen direkten Blick auf die große Kreuzung West Street und Guangji Lane. Nichts deutet auf einen europäischen Sonntag mit deutlich weniger Verkehr hin, hier leben viele, sehr viele Menschen. 97 Busse in elf Minuten zähle ich, davon zwei Flughafenbusse, zwei Reisebusse und ein Expeditionsbus aus Australien, den ich vor ein paar Tagen schon einmal in Xinjiang, in der westlichen Wüste Gobi gesehen habe. Taxis und Kleinbusse nicht mitgezählt. Wirklich beeindruckend und es sagt mir sehr viel mehr als das, was ich im Reiseführer lese – 7,1 Millionen Einwohner.
Beeindruckend ist dieser Tag für mich schon seit heute Morgen um halb acht. Ich stehe früh auf, um das bessere Licht auf dem islamischen Basar zum Fotografieren zu nutzen. Also, Kamera klargemacht, rein in die Klamotten und einfach loslaufen. Die ersten Händler bauen ihre Stände auf. Ich komme überall bequem voran, muss kaum auf die kleinen Rikscha-Taxis achten. Die erste unsanfte Begegnung mit einer verschleierten Frau auf dem Motorroller mit ihrem Kind auf dem Sozius, die mich ganz absichtlich schwer anrempelt, weil ich ihr irgendwie im Wege stehe.
Ich lasse mich treiben, laufe kreuz und quer durch zahlreiche Gassen, vorbei an einer Garküche, der Mann stapelt gerade über 20 Gartöpfe zu einer riesigen Pyramide übereinander, seine Frau reicht ihm weitere Töpfe nach oben, er kann das obere Ende kaum noch selbst erreichen, die Pyramide ist weit über zwei Meter hoch. Vorbei am Eingang zu einer Moschee, viele Muslime auf dem Weg hierher, X‘ian hat eine sehr große muslimische Gemeinde. Weiter, vorbei an zwei- bis dreistöckigen Häusern, alle Fenster vergittert, dazwischengeklemmt Fahrräder oder anderes Zeugs, für das in den beengten Wohnungen kein Platz ist. Unten auf dem Gehsteig prüft ein Händler einen 100-Yüan-Schein auf seine Echtheit. Macht hier jeder, selbst Banken nehmen Falschgeld zurück, das sie selbst vorher ausgegeben haben.
Ich komme an einen kleinen Platz. Verkehrsstau! Ein paar Frauen mit Schildern stehen stumm auf der Straße. Eine Demonstration? Ich weiß es nicht. Bin etwas hilflos, weil ich nicht verstehe, was auf den Schildern steht. Dahinter sitzt auf einem Brett mit vier Rollen darunter, eine kleine zierliche Frau, am ganzen Körper mit Ekzemen übersät. Vor sich auf dem Rollwagen zwei Boxen und darauf zwei Mikros. Ein junger Mann ist dabei, ihr zu helfen, die Mikrostecker anzuschließen. Er trägt einen weißen Stock. Seine Augen blicken nirgendwo hin. Er ist blind. Nach einigen Minuten setzen sich die beiden langsam in Bewegung. Es läuft chinesische Popmusik und die beiden singen dazu – Karaoke!
Die Frau schiebt einen roten Plastikeimer, der an ihrem Rollbrett mit einer Schnur befestigt ist, vor sich her. Ich schmeiße ein paar Yüan rein. Ich höre die beiden noch ganz lange, wie sie als kleine Prozession durch die engen Gassen zwischen Ständen mit Tomaten, Kohl und kleine Katzen in Käfigen ziehen.
Hier werden Tiere verkauft, kleine süße Hunde und Katzen in winzigen Käfigen, in denen sie alles andere als glücklich aussehen. You want buy? 800 Yüan! Ein Chinese, der mich auf Englisch anspricht, bietet mir den Hund seines Bekannten an.
Ich zögere immer mal wieder zu fotografieren, tue es doch, es sind oft Bilder, die das Ganze erst begreiflich machen. Wie auch die Szene, die sich nur 2 Minuten später abspielt.
Ich passiere ein Mietshaus, mein Blick geht in den Hinterhof, wo zwei Männer Federball spielen. Aber nicht wie bei uns auf dem Campingplatz an der Ostsee, sondern eben wie zwei Chinesen, die es drauf haben. Ich stelle mich dazu, mache ein paar Fotos und hab nach ein paar Minuten einen der beiden Federballschläger in der Hand und spiele. Erst noch etwas verhalten, lange nicht mehr gespielt, dann kommt die Erinnerung an Vor- und Rückhand wieder und es geht ab. Mein Partner ist Profi, wir powern uns aus, die Zeit verrinnt, ich stehe in einem chinesischen Hinterhof am Sonntag früh und spiele Federball - super! Bei meinem Partner möchte ich mich nach dem Spiel bedanken. Er lächelt, strahlt und ich begreife, dass der Mann taubstumm ist.
Es sind wirklich oft die ganz kleine Szenen, die mich wirklich berühren.
Zurück zum Hotel, mein Blick fällt auf eines der zahllosen Rikscha-Taxis. Kurz verhandelt, 15 Yüan und los! Vorbei an einer jungen Frau, die mitten auf der Kreuzung ihr Kind stillt und mit einem Schild, offensichtlich um Almosen bittet. Zum Glück stehen wir einen Augenblick, sodass ich der Frau etwas Geld in die Schale werfen kann. Ich sitze hinter dem Rikscha Fahrer und verstehe wieder ein ganz klein wenig, wie Leben in China zu funktionieren scheint. Es gibt im Grunde genommen keine Verkehrsregeln, Vorfahrtsregeln schon gar nicht, alles regelt sich im freien Spiele der Kräfte, zuweilen recht ruppig, aber seltsamerweise kommt er mit seinem Taxi genauso voran die die anderen auch. Manchmal stehen wir minutenlang, ich nutze die Gelegenheit, aus dem Taxi heraus ein paar Szenen zu fotografieren, die ich sonst gar nicht wahrgenommen hätte. Vorbei an kleinen Lieferwagen, aus deren Bäuchen gerade Tiergedärme und riesige Leberbrocken quellen, die auf die Verkaufsstände gepackt werden. Ein Kater auf dem Tresen lauert auf seine Chance! Frauen fächern die Fliegen beiseite. Gegenüber gleitet ein gut gekleideter Mann im schwarzen Passat vorbei, dazwischen genervte Passanten, die in dem Gewusel auch nicht vorankommen. An einem Stand mit herrlichen Walnüssen beschließe ich, auszusteigen, nicht wegen der Walnüsse, sondern weil wirklich nichts mehr geht. Ich gebe dem Mann 5 Yüan für den Teil der Fahrt bis hierher. Lehnt er erstmal ab, weil er natürlich die ganze Fahrt machen will, ein Hin und Her, schließlich klemme ich ihm die 5 Yüan auf den Tacho und er lächelt zufrieden.
Keine Stunde später sind wir in einer kleinen Gruppe unterwegs zur Stadtmauer und in den so genannten Stelenwald, der viel über die chinesische Geschichte erzählt. Wir haben gerade die große Kreuzung am Bell Tower, dem Glockenturm mitten im Zentrum der Stadt passiert und ich sehe Kameras. Zwei Frauen, die mit wirklich leistungsstarken Vollformatkameras zwei kleine Jungen ablichten. Die Mütter sind damit beschäftigt, die Bälger in Szene zu setzen. Der kleinere, eigentlich noch ein Baby, versteht natürlich die ganze Nummer nicht, schreit, heult, als seine Mutter ihn permanent mit dämlichen Gebärden animiert, irgendwelche bescheuerten Faxen zu machen. Der Kleine ist verunsichert, schmeißt die Bälle weg, die ihm immer wieder in die Hand gedrückt werden, immerhin weiß er sich zu wehren. Zwei Meter weiter der größere Bengel. Billige H & M Castingnummer! Die Fotografin hat offensichtlich ‘ne eingebaute Motivklingel und ballert drauf los: Käppi ganz cool schräg links, schräg rechts, der Kleine weiß auch nicht so recht, die Mami stellt mal eben seinen rechten Fuß an die Hauswand, damit’s noch cooler aussieht, auf der anderen Seite zerrt die Assistentin an dem armen Model rum, seine Augen verraten für Momente den Genuss, im Mittelpunkt zu stehen und im nächsten nicht zu wissen, in welchem Film er gerade ist. Zeitvertreib von überkandidelten chinesischen Muttis, die mit ihren kleinen Schmusebären am Sonntagvormittag im Breitreifen-Pajero mit laufender Klimaanlage zum Fotoshooting nach downtown X‘ian düsen.
Alles, was ich beschreibe, spielt sich jeweils keine 800 Meter voneinander entfernt ab. Unglaublich? Unverständlich? Moderne? Fortschritt? Abscheu? Offenheit? Offene Gesichter? Funktionierendes Chaos? China 2010? - Ja, von allem etwas.
Zu guter Letzt, abends, auf dem Rückweg ins Hotel: Ein Mann bringt sein Motorrad am hell illuminierten Belltower in Stellung. Das Motorrad sieht auf den ersten Blick aus wie ‘ne alte Stalinorgel, erst bei näherem Hinsehen erkenne ich ein riesiges Teleskop Fernrohr von bestimmt zwei Metern Länge, durch das man angeblich den Saturn sehen kann – 10 Yüan! Links und rechts davon lassen Leute auf dem Platz unzählige bunte Papierdrachen an einer langen Leine in den Nachthimmel steigen, die sehe ich auch so und es ist ein wirklich traumhaft schönes Bild.
Schöne Träume in China!
Wolfram Goslich
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Wolfram Goslich …aus dem „Verkehrsstudio Zentralchina“
Eigentlich dachte ich, das Thema Straßenverkehr in China hätte ich erschöpfend beschrieben. Ein Tag unterwegs schmeißt das sofort über den Haufen. Wir verlassen Lanzhou auf dem Weg nach Osten zu den Majishan-Grotten. Es wird gebaut, Abflussrohre werden verlegt, mitten auf einer Ausfallstraße raus aus der Stadt. Die Baustelle liegt über ein bis zwei Kilometer mitten auf der Straße. Viel Verkehr, wie immer, es wird eng, alles drängelt auf die engen Durchlässe zu, die die Baustelle immer wieder freigibt. Da in China genau wie bei uns rechts gefahren wird, drängeln sich zunächst die meisten auf der richtigen Straßenseite in die enge Spur. Einige haben das schon sehr früh aufgegeben, allen voran die Linienbusse, die in den Gegenverkehr hineinfahren und sich durchschlängeln.
Uns bleibt vorerst nichts anderes übrig, als rechts gnadenlos mitzudrängeln, die Gesichter der meisten Fahrer verraten hohe Konzentration, Platzgewinn erzielen. Wir tricksen erfolgreich einen Lkw aus, der mit seinem rechten Außenspiegel schon bei uns am Bus klebt, aber so erfolgreich abgedrängt worden ist, dass er rückwärtsfahren muss, um überhaupt weiterzukommen. Das dauert und wird einem anderen Linienbus zu bunt, der eine weitere Lücke aufgetan hat und alle nunmehr rechts auf dem Bürgersteig zwischen kleinen Akazienbäumen überholt – gefolgt von einer ganzen Horde Pkws, die die Chance nutzen. Passanten habe ich dort gar nicht mehr gesehen. Mitten in den Gegenverkehr reinzufahren, nicht weiteren Drängeleien ausgesetzt zu sein, weil die Entgegenkommenden meist nur weichen können, hat sich dann als beste Lösung rausgestellt, uns wirklich weitergebracht und im Grunde genommen dafür gesorgt, Verkehrsregeln nur noch in Ausnahmefällen oder besonders unübersichtlichen Situationen zum Maß der Dinge zu machen.
Die Straße ist zur Fläche geworden, die in voller Breite zum Vorankommen genutzt wird, amerikanisch abbiegen nach links z.B. beginnt somit direkt an der Einmündung zur Kreuzung, wenn sich eine Lücke bietet und funktioniert selbstverständlich auch mit einem Dreiachser-Reisebus. Beim ersten Mal fragen wir uns noch ungläubig, geht das so? Soll ich wirklich? Danach wird aus dem Manöver bereits eine fließende Bewegung.
Dass zwei Autofahrer am Ende eines Autobahntunnels einen Auffahrunfall verursachen und sich in aller Seelenruhe im Tunnel ohne jegliche Hast und Eile darüber verständigen, keinen Warnblinker, geschweige denn Licht einschalten, sei hier nur am Rande erwähnt.
Manchmal frage ich mich, wie ich mich nach meiner Rückkehr jemals wieder an deutsche Gepflogenheiten auf der Straße im Auto gewöhnen soll.
Blog schreiben im Wohnzimmer, im rollenden Wohnzimmer - angenehmer geht’s kaum. Schon deshalb, weil durch den ständigen Szenenwechsel vor meinen Augen immer noch ein paar kleine Schlaglichter zum Notieren dazukommen. An den hinteren Tischen im Bus - die Laptops surren, manche lesen Zeitung oder Reiseführer - sieht es aus wie im ICE, nur mit dem Unterschied, dass es wesentlich entspannter ist, der Kaffee schmeckt, der Service aufmerksam ist, die Ansagen verständlich sind und nicht gebellt werden. Einfach entspanntes Reisefeeling!
Nicht, dass ich etwas gegen das Bahnfahren hätte, aber es zählt eben nicht nur die Technik, die haben heute alle, sondern die Art und Weise, Reiseatmosphäre zu schaffen, Gastgeber zu sein, wie Hans-Peter Christoph immer wieder betont.
Wolfram Goslich
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Barbara Volhard: Dunhuang – Lanzhou
05.06. Samstag 53. Tag Dunhuang – Jiayuguan Von Dunhuang aus geht es auf Landstraßen und Autobahnen weiter nach Jiayuguan, der traditionellen Grenze des Han-Reiches und dem Ende der Großen Mauer der Ming-Dynastie (1368-1644).
06.06. Sonntag 54. Tag Jiayuguan – Zhengye Jiayuguan markierte die traditionelle Grenze des Han-Reiches im Westen. Hier endet auch die Große Mauer der Ming-Zeit. 1372 wurde mit der Errichtung einer großen Festung begonnen, die während langer Perioden den letzten Außenposten des chinesischen Reiches bildete. Sie erhielt den Beinamen »Der erste große Pass unter dem Himmel«. Mit dem Begriff Pass waren allerdings keine Gebirgspässe gemeint, sondern Burgen oder Festungen, die man auf seinem Weg passieren musste. In Jiayuguan bekamen durchreisende Händler die Einreiseerlaubnis ins Reich der Mitte und konnten anschließend nach Jiuquan weiterreisen. Im modernen Jiayuguan leben rund 100.000 Einwohner einschließlich der Angehörigen von vierzehn Nationalitäten wie den Hui, Uiguren, Mongolen, Dongxiang unter anderem, die von der Arbeit in der nicht zu übersehenden Stahlhütte und in anderen Industrien wie dem Maschinenbau und der Chemieindustrie leben. Der Jia Yu Pass bildet das westliche Ende der Großen Mauer. Auf dem Pass wurde im Jahre 1372 eine Festung errichtet. Die Anlage umfasst eine 10 m hohe und über 700 m lange Mauer mit Schießscharten und vier Wachtürmen an den Ecken. Das äußere Tor der westlichen Seite heißt Jiayuguan. Im Inneren dieser Verteidigungsanlage befanden sich die Unterkünfte der Soldaten, Stallungen und Lagerräume. Die Planung der Anlage soll derart genau gewesen sein, dass alle bis auf einen Stein verbaut wurden. Dieser letzte Stein wird bis heute in der Festung aufbewahrt. Wir besichtigen die Festung und fotografieren uns zum ersten Male gegenseitig auf der chinesischen Mauer. Es ist ein erhebendes Gefühl, es schon so weit über Land geschafft zu haben, wofür in früheren Jahrhunderten die Karawanen auf der Seidenstraße mehrere Jahre brauchten. Am späten Nachmittag fahren wir auf der Autobahn noch rund 200 km bis Zhengye und bleiben dort für einen Tag, bevor wir am übernächsten Tag in die Hauptstadt der Provinz Gansu nach Lanzhou weiterfahren.
So, jetzt waren wir also auf ihr, der Mauer. Aber zunächst ging es mal wieder um Mythenzertrümmerung. Denn so, wie wir die Mauer aus Bildern kennen, ist sie nur bei Peking. Dass sie sogar aus dem All zu sehen sei, ist angeblich auch nur ein Mythos. Sie war auch nie wirklich durchgängig und diente weniger der Abwehr von Feinden als vielmehr dazu, die Karawanen zu zwingen, durch ein so von einer Festung bewachtes Tor zu ziehen und dort ihren Zoll zu zahlen. Die Festung ist sehr imposant, ihre Einnahme war praktisch unmöglich, es wurde allerdings auch nie versucht. Ein intelligentes System von Höfen: Hätte der Feind ein Tor durchbrochen, wäre er in einen Hof geraten, in dem er 1. sich zur Seite gegen das nächste Tor hätte wenden müssen und 2. von oben in dieser Einkesselung leicht zu beschießen gewesen wäre. Hinter dem nächsten Tor liegt dann der nächste Hof usw. und noch lange nicht die Festung selber.
Von dieser Festung ging nun die Mauer weg. Eine Lehmmauer, etwa 2,50 m hoch, etwa 30-40 cm dick. Erst, wenn sie den Berg hoch geht, wird sie breit genug, dass man darauf laufen kann, dazu gibt es in regelmäßigen Abständen Wachttürme, die per Strickleiter besteigbar sind. Obwohl die Mauer also nicht so imposant ist wie in Peking, so ist dieses Bauwerk den ziemlich steilen Grat hinauf wirklich eindrucksvoll genug. (Siehe Bilder)
Danach besichtigten wir auf dem Weg nach Zhengye noch eine Grabanlage aus der Wei-Dynastie (ca. 3.-6. Jh.), die noch erhalten und mal nicht von den Roten Garden zerstört worden war. Es war das Grab eines Ehepaars, vermutlich wohlhabende Leute, bestehend aus drei Kammern, die mit kompliziert und ohne Mörtel geschichteten Ziegelsteinen überkuppelt waren. Der Eingang war verziert mit Backsteinen, in die Reliefs eingebrannt waren – durfte man leider nicht fotografieren. Im Inneren Malereien auf Backsteinen, die das tägliche Leben der Leute darstellen, z.B. wie ein Schwein geschlachtet wird, dann gehäutet, dann zerteilt, und am Schluss sieht man dann die fertigen Stücke hängen. Jeder Backstein ein Bild. Oder wie die Frauen Essen zubereiteten, oder Maulbeeren ernteten usw. Desgleichen die Männer auf der Jagd. (siehe Bilder) Die Bilder, die ich euch schicke, stammen aus dem Museum, in dem man einige solche Malereien zum Fotografieren freigegeben hat.
07.06. Montag 55. Tag, Zhengye Ein Ausflug bringt uns ins nahe gelegene Bergland, in dem sich Tibeter niedergelassen haben. Wir besichtigen tibetische Klöster und kommen in Dörfer, wer möchte, kann hier auch eine kleine Wanderung unternehmen. Gegen Abend genießen wir in Zhengye das chinesische Leben und tauchen ein in das typische Treiben einer chinesischen »Kleinstadt«.
Dazu schicke ich euch einfach ein paar Bilder. Die Klöster sind z.T. in den Fels eingegraben, ihre Vorbauten hängen dann wie Balkons an den Felswänden. (siehe Bilder) Es goss leider in Strömen, so dass wir nur unter Schirmen „wandern“ konnten. Auf der Rückfahrt fotografierten wir noch eine Ziegelei: Lehmziegel werden dort von Frauen in unendlichen Reihen zum Trocknen aufgeschichtet.
In Zhengye konnten wir noch eine Pagode besichtigen und einen der größten Buddhas der Welt, den liegenden Buddha (siehe Bilder).
Die Stadt selbst wie üblich: in den Außenbezirken und hinter eleganten Fassaden noch ärmliche Lehmbauten, die aussehen, als würden sie verfallen. Ganze Stadtviertel mit mehrstöckigen Häusern, von Industrieabgasen verdreckt, aber ALLE mit Solarkollektoren auf den Dächern. (siehe Bilder)
08.06. Dienstag 56. Tag Zhengye – Lanzhou Von Zhangye geht es heute auf der Landstraße ca. 500 km weiter nach Lanzhou, und nie wird es nur eine Sekunde langweilig, aus den Busfenstern zu sehen! Lanzhou liegt am Oberlauf des Gelben Flusses – des Huang He und ist umgeben von Lösbergen, deren gelbe Farbe bei der Namensgebung des Huang He Pate stand.
Diese Solarkollektoren, die man übrigens in allen Städten auf diesen mehrstöckigen Häusern sieht, sind nur EIN Zeichen der wirklich ungeheuren Anstrengungen, die China für den Umweltschutz unternimmt. Nicht dass ein Umweltbewusstsein schon in der Bevölkerung verankert wäre, dazu sieht man zu viel Müll selbst in Naturschutzgebieten achtlos weggeworfen. Aber die Regierung veranlasst wirklich Beeindruckendes. Wir kamen an riesigen Windparks vorbei, mehrere Kilometer lang und breit in der Wüste mit Hunderten von Windmühlen, die bereits große Mengen von Strom produzieren. Und es gibt ein enormes Aufforstungsprogramm. Das konnten wir schon während unserer ganzen Fahrt durch China sehen. Überall Reihen von kleinen Bäumchen, von den Oasen ausgehend immer weiter in die Wüste hinein. Sogar entlang der Autobahn, manchmal buchstäblich zwischen die Felsen und die durch sie hindurch führende Straße wurden Bäume gepflanzt. Recht ärgerlich für uns: die z.T. schon recht hohen Bäume versperren uns immer wieder den Blick und die Möglichkeit zu fotografieren.
Als wir lange vor Lanzhou durch das Lössgebirge kommen, fällt uns auf, dass die Berge, die eigentlich fast kahl und nur von einer dünnen Grasnarbe mit einigen winzigen Stauden dazwischen bedeckt sind, alle merkwürdig quer gestreift sind. Es können keine künstlichen Terrassen sein, meinen wir, die Streifen sind, wenn wir näher an so einem Berg vorbeikommen, höchstens 10-15 cm breit. Einige vermuten, dass es sich um Gesteinsschichten handeln müsse. Aber Linus klärt uns auf: es sind doch von Menschenhand geschaffene Kleinst-Terrassen, in denen winzige Bäumchen angepflanzt sind, die man nur im Vorbeifahren nicht sieht, weil sie noch so klein sind. Wir können es kaum glauben, denn diese Streifen gehen bis in höchste Höhen, befinden sich auch an Steilhängen, die doch kaum einer hochklettern kann. Und das über Kilometer und Kilometer, nicht nur an der Straße entlang, sondern sichtlich auch weit ins Land hinein! Einfach unglaublich, aber als wir der Stadt näher kommen, sehen wir, dass offenbar schon etwas ältere Bäumchen schon höher gewachsen sind, und noch näher der Stadt sind sie schon recht groß geworden. Offenbar wird diese Aufforstung in konzentrischen Kreisen um die Orte herum langsam immer weiter getrieben. Getan wird dies von Menschen, Maschinen wären da nicht einsetzbar. (siehe Bilder).
Wie überhaupt: vieles, was bei uns selbstverständlich von Maschinen getan wird, wird hier noch von Hand getan – Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Regierung, wie uns Che erklärt. Wir konnten einen Mann beobachten, der ganz alleine mit einem Vorschlaghammer eine asphaltierte Straße aufbrach!
Aber ich muss Schluss machen, damit ich dies heute noch wegschicken kann.
Barbara Volhard
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Heidi Bisang: Unterwegs in Bilderbuch-China
Liebe Shanghai-Reise-VerfolgerInnen,
ach Leute, die Reise ist und bleibt eine Wucht! Ich muss mich noch immer mal kneifen, um zu wissen, dass ich nicht träume. Wir sind im Bilderbuch-China angekommen. Der Weg von Lanzhou nach Maijishan führte uns bergauf und bergab durchs grüne hügelige China, vorbei an wunderschönen Reisterrassen, Maisfeldern, Obstplantagen und – und - und. Dazu durch schmucke Dörfer mit schönen Bauernhöfen (die Dächer alle geschwungen!). Wir konnten uns kaum sattsehen. Traumhaft!
Die Apfelplantagen sind für uns allerdings „gewöhnungsbedürftig“. Eigentlich ist das Klima auf diesem Abschnitt nicht wirklich apfelfreundlich, zu heiß und zu trocken. Die Bauern verhüllen daher kurz nach der Blüte alle Miniäpfelchen mit einer ziemlich dicken Papiertüte, auf dass die Äpfel da rein wachsen. Das sieht zum Schreien aus und bringt auch nicht wirklich gute Äpfel hervor. Jedenfalls waren die chinesischen Äpfel, die ich bisher gegessen habe zwar immer makellos, aber halt fade (zu wenig Säure und zu wenig Süße) und oft auch ein bisschen mehlig.
Aber eigentlich will ich Euch heute von
Pleiten, Pech und Pannen
berichten.
Wirkliche Pleiten haben wir bis jetzt allerdings nicht erlebt, die stehen nur dem Titel zuliebe da. Mal war vielleicht ein Hotelzimmer nicht so toll, wie wir’s uns vorgestellt haben, oder ein Essen nicht sooo lecker, von Pleite kann man da aber nicht reden. Pech hatten einzig die Wanderer im Bergland bei den tibetanischen Klöstern, die Wanderung fiel buchstäblich ins Wasser. Ein eiskalter Regenguss (auf über 2.000 Metern Höhe) hat die Wandervögel zurück zum Bus, ins Trockene getrieben. Ein wenig Pech hatten wir auch heute früh, als wir meinten, alleine die buddhistischen Grotten besuchen zu können. Als wir ankamen, war da 1. ein riesiger Autoconvoy (Polizeiautos, Limousinen, Kleinbusse), 2. wohl eine Hundertschaft von Aufsichtspersonen und Polizisten und 3. Tausende von Besuchern. Der Chef der Provinz hat ausgerechnet für heute einen „Grottentag“ ausgerufen. Alle Schüler haben frei, alle Arbeiter und Angestellten auch und der Eintritt ist gratis. Wirklich schlimm war’s aber nicht, die lange, lange Schlange der Besucher ging recht zügig durch und die Sicht in die Grotten und die darin erhaltenen Statuen und Malereien wurde nicht beeinträchtigt. Die Exoten des Tages (bei den Kids und Jugendlichen die Attraktion) waren allerdings wir Europäer. Der Weg durch den Naturpark zurück zum Hotel glich einer „Radio Wanderung“. Die Chinesen genießen den geschenkten Tag beim Picknicken und Spazieren durch den riesigen Hotelgarten und das umliegende Gelände. Die Damen flanieren in pastellfarbenen Sonntagsgewändern unter dito Sonnenschirmen, traumhaft und wunderschön, kurz: Das Pech hat sich zum Glücksfall entwickelt.
Dafür kann ich von einer echten kleine Panne berichten. Unser feuerroter Liebling hat sich nämlich am Kopf verletzt. In Zanghye ist es passiert: Nach der Besichtigung der großen (hohen) Pagode und des daneben stehenden kleinen Museums sind wir zu Fuß zum nahe gelegenen Tempel mit dem großen liegenden Buddha gepilgert, eine wunderschöne Anlage übrigens. Der Scheff wollte mit dem Bus dieweil ums Viereck fahren (Einbahnstraßen!) und uns dort abholen. Kurz vor dem Ziel hat dann ein dünner – mit bloßem Auge unsichtbarer – Draht der zwischen zwei Alleebäumen über die Straße gespannt war, dem Setra den hinteren Notausstieg wegrasiert. Aber zum Glück haben wir ja Anatoli (Doli genannt, mit weichem badischen T), er hat noch vor der Weiterfahrt zum Hotel alle Teile zusammengesammelt und den inneren Teil mit der Hilfe von Wolfram (unserm zweitenChauffeur) abmontiert. Beim Hotel sind wir dann in einem „partiellen Cabriolet“ vorgefahren. Noch vor dem Nachtessen haben die beiden die Reparatur „in die Hand genommen“, den zahlreich herumstehenden Chinesen sind beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen, als Doli, flink wie ein Wiesel, aufs Dach gestiegen ist und dort gearbeitet hat. Die Dichtungsmasse und ein Paar Arbeitshandschuhe waren dann allerdings spurlos verschwunden, als Anatoli wieder vom Dach und Wolfram aus dem Bus stieg. Es waren wohl zuuu attraktive „Werkzeuge“ für einen chinesischen Gaffer. Aber unser Baby war wieder heil und wie neu. Zum Glück, denn gegen Mitternacht fing’s an zu schütten wie aus Kübeln.
Soviel für heute. Morgen zieht die Karawane weiter Richtung Xi’an. Dort soll’s schöne Seide geben und natürlich die weltberühmte Terracotta-Armee. Die Reise ist und bleibt spannend.
Herzlichst
Heidi Bisang