Istanbul
Also Istanbul. Eine Riesenstadt mit offiziell ca. 12 Mio Einwohnern, tatsächlich wahrscheinlich eher 15 Mio, denn sie wächst unaufhörlich wegen der Landflucht und dehnt sich etwa 150 km weit aus. Wenn man sich ihr nähert, sieht man vor allem endlose Viertel von Hochhäusern, aber auch Industriegebiete, die – ähnlich wie bei uns im Mittelalter – noch ganz nach Gewerben sortiert sind. Also Gebiete, in denen nur Eisen verarbeitet wird oder nur Autoreifen usw.
Natürlich lief nicht alles, wie in der Reisebeschreibung vorgesehen. Aber darauf waren wir alle mental vorbereitet, bei einer solch abenteuerlichen Reise KANN einfach nicht alles nach Programm ablaufen. Schön war, dass niemand daran Anstoß nahm, die Stimmung blieb ausgezeichnet.
Wir kamen nach abenteuerlichen Fahrkunststücken HP Christophs durch engste und vollgestellte Gässlein und noch engere Kurven in unserem Hotel an: eine Reihe von antiken, restaurierten Holzhäusern, die in einer kleinen Gasse liegen, die den Topkapi Palast von der Hagia Sophia trennt. Mittendrinner geht’s nicht. Innen mit altem Mobiliar (Messingbetten) und mit schönen Teppichen ausgestattet. Der Blick aus dem Fenster geht über die Türme und Türmchen mit goldglänzenden Spitzen des Topkapi Palasts, die Minarette der Hagia Sophia bis zum Goldenen Horn, der Meeresbucht in der Ferne. Wunderschön. Allerdings: Die Schiebefenster lassen sich nicht so recht hochschieben, davor sind nochmal hölzerne Gitter, damit der muslimische Mann die muslimische Frau dahinter aber auch ganz bestimmt nicht zu sehen bekommt, und wenn man die hochschiebt, dann bleiben sie vielleicht für einen Moment oben, knallen aber dann herunter. Und wenn du dann deinen Kopf rausgestreckt hast, dann kriegst du das Ganze in den Nacken. Das passierte Inge, sie musste ins Krankenhaus, an Ober- und Unterlippe genäht werden, und unser Programm wurde halt ein wenig geändert.
Zunächst gab es ein opulentes Abendessen mit fünf Gängen in einem riesigen Gewölbe aus dem 6. Jahrhundert. Interessantes Mauerwerk: sehr dünne bzw. schmale, sehr lange Ziegel mit einer erstaunlich dicken Mörtelschicht dazwischen, d.h. der Mörtel ist etwa so dick wie die Ziegel. Das Ganze etwa zwei Stockwerke hoch, aber das kleinteilige Mauerwerk sorgt dafür, dass die Sache ausgesprochen elegant aussieht und nicht so klobig, wie wir alte Gemäuer kennen.
Am nächsten Tag bekamen wir einen Führer, der zwar sehr viel wusste, uns aber auch mit diesem Wissen, vor allem Jahreszahlen, zudonnerte, sodass ich jetzt fast nichts mehr weiß von dem vielen, das er uns erzählte. Außerdem hat er seine Verachtung vor allem der weiblichen Reisenden nicht verbergen können, sodass ich (und nicht nur ich) nicht allzugut auf ihn zu sprechen bin. Jedenfalls führte er uns durch den Topkapi-Palast, der zu meiner Überraschung keineswegs nur ein Palast ist, sondern ein riesiges Gelände von der Größe Monacos mit vielen Gebäuden drin, darunter die Irina-Moschee, ein Küchengebäude, in dem einst für Tausende gekocht wurde, ehemalige Regierungsgebäude, Krankenhaus, Schatzkammer usw. - heute natürlich alles Museum. Denn ursprünglich war der Palast eine Art Stadt in der Stadt, ein Regierungsbezirk, der tatsächlich auch Tausende beherbergte. Um hineinzukommen musste man wie im Flughafen durch einen Security-Check mit Gepäck- und Körperkontrolle, und natürlich piepste das Ding, als ich mit meinen Krücken da hindurchging. Danach aber öffnete sich ein wunderschöner Park, in dem vor allem Tausende von Tulpen und Pfingstrosen blühten und an dessen Ende nach endlosem Marsch man einen Blick über den Bosporus nach Asien hin hatte. Im Übrigen fand dort auch gerade die Ausstellung des Moskauer Zarenschatzes statt, den wir ebenfalls besichtigen konnten.
Am Nachmittag ging es nach Eyüp, mit einer Moschee, die bis heute Wallfahrtsort ist und mit dem ältesten Friedhof der Stadt. Wir durften in die Moschee, die Frauen natürlich mit Kopftuch. Aber nix von den Bildern, die man aus dem Fernsehen so kennt mit hunderten von Schuhen vor der Moschee. Das wird heute äußerst modern gehandhabt. Man muss zwar seine Schuhe ausziehen und wandelt dann in Strümpfen auf Teppichen, aber man trägt seine Schuhe in einer Plastiktüte mit sich, die einem zur Verfügung gestellt wird und die man hinterher wieder abgibt. Drinnen sitzen reihenweise Frauen, z.T. mit Babies auf dem Schoß und beten. Man schleicht an ihnen vorbei und geniert sich.
Ein riesiger Friedhof, der sich einen ganzen Berg hoch zieht, wo Leute sich aber bis heute begraben lassen können. Statt Kreuzen gibt es Grabstelen, denen man nicht nur ansieht, ob hier ein Mann oder eine Frau begraben ist, sondern auch, welchen Beruf oder Rang der Mann gehabt hat (Frauen hatten „natürlich“ weder das eine noch das andere). Der ganze Bereich war wohl mal ein Kloster. Kloster, so lernten wir, sind orientalische Gründungen, die von den Christen später zwar übernommen wurden, aber in ihrem Charakter verändert. Ein orientalisches Kloster ist für jeden offen. Es besteht aus einer Moschee, einem Altersheim, einem Waisenhaus, einer Armenküche und einer Schule. Es ist also eher eine soziale Einrichtung. Bis heute, so erklärte uns unser Führer, seien die Altersheime solcher Einrich-tungen nicht überfüllt, weil -wie er süffisant anzumerken hatte - muslimische Familien ihre Alten selbst pflegten, was ja wir Europäerinnen nicht täten. Unsere Proteste ließen ihn kalt. Aber wir durften noch das Gebäude einer Armenküche besichtigen.
Danach hatten wir "frei". Ich lief noch ein bisschen herum um die Hagia Sophia und die blaue Moschee (beide besichtigten wir am nächsten Tag mit einem viel netteren und genau so klugen Führer) und machte Fotos. Das hätte ich nicht tun sollen. Denn abends fing mein Knie an zu mosern, ich konnte vor Schmerzen kaum schlafen und musste mich am nächsten Tag früher von der Führung abseilen, um mich hinsetzen zu können. Inzwischen laufe ich nur noch dann, wenn ich sonst etwas Wichtiges verpassen würde, einfach so Herumlaufen ist nicht mehr. So komme ich aber auch in den Genuss, manches beobachten zu können, was mir sonst vielleicht entgangen wäre.
Zum Beispiel der Ruf des Muezzin. Also nicht dass der mir sonst entgangen wäre, dem entgeht niemand! Vor allem zu gewissen Zeiten nicht, denn das geht nicht nach der Uhr, sondern der erste Ruf am Morgen findet statt zu der Zeit, „zu der man einen weißen nicht von einem schwarzen Faden unterscheiden kann“ (erklärte uns HP), also etwa zwischen halb vier und vier Uhr. Nun pflege ich von schweren Gewittern mit Blitz und Donner nicht aufzuwachen, aber der Muezzin ruft nicht nur, sondern hat unglückseligerweise auch ein Mikrofon samt Lautsprecher und Verstärker zur Verfügung, kurz, er ruft nicht, er dröhnt. Das kann Tote erwecken, vor allem, wenn du direkt neben dem Minarett wohnst! Da ich aber nun zum Sitzen verdammt war, hatte ich mir ein Café zwischen der Hagia Sophia und der blauen Moschee (Sultan-Ahmed-Moschee) ausgesucht. Dann fing so gegen 5 Uhr nachmittags der Muezzin der Hagia Sophia an zu singen. Sehr, sehr laut. Einige Minuten später gesellte sich der von der Blauen Moschee hinzu. Jetzt erwartete ich eigentlich eine Kakophonie, aber nein: Es entspann sich ein durchaus melodiöses Duett zwischen den beiden, nach einer Weile kam noch ein Dritter von etwas ferner dazu, und ich bekam ein veritables Konzert. Erstaunlich, es scheint, sie singen alle in der gleichen Tonlage, wodurch die Sache durchaus harmonisch wird. Aber laut, laut!!! Nun sollte man denken, jetzt springen alle auf und rennen in die Moschee oder knien wenigstens auf einem Teppich nieder und beten, aber nichts dergleichen. Alle im Café bleiben seelenruhig sitzen, andere drumherum gehen weiter ihren Geschäften nach, niemand kümmert sich. Merkwürdig.
Genug für heute. Mein Rücken tut weh. Dabei sind wir schon in Kappadokien.
Barbara Volhard
Mai 21st, 2010
Hallo Heidi,
toll, was Ihr erlebt, es wurmt mich, dass ich nicht dabeisein kann, aber man kann nicht alles haben, so tönt wenigstens die Wetterprognose für Pfingsten gut und die ersten Staus sind auch schon gemeldet, am Gotthard liegen noch 7 m Schnee.Lasst es Euch weiterhin gut gehen. Lieb e Grüsse Lore und Werni