Heidi Bisang: Nin hao
Ja, wir sind in China angekommen. Die letzte Grenze für die nächsten Wochen ist geschafft. Bis wir wieder in unseren roten Bus einsteigen durften, dauerte es allerdings, wir mussten uns in Geduld üben. Aber das wisst Ihr ja schon. Ich erzähle darum nur, wie’s uns dabei erging.
Erst 10 Stunden warten und dann doch mit einem Chinabus nach Yinning weiterfahren müssen, hat unserer Stimmung auf den Nullpunkt gebracht. Die Fachmänner, d.h. der Scheff, Wolfram unser zweiter Fahrer und Anatoli, der Mechaniker, sahen so deprimiert aus, dass wir uns kaum getrauten, sie zu trösten, wir hatten Angst, sie könnten weinen und dann hätten wir alle mitgeheult.
Am nächsten Morgen beim Frühstück wurde dann eine Kollegin in Begleitung von zwei Polizisten hereingebracht. Sie wollte noch vor dem Frühstück die Stadt erkunden und hat dabei die Polizisten (O-Ton: „Die waren so hübsch anzusehen und ich habe ja gefragt, ob ich knipsen darf“) samt Polizeiauto fotografieren wollen. Aus war’s mit der Fotosafari. Wir haben noch um Mitternacht über so viel Naivität gelacht.
Bis um 14 Uhr hatten wir Zeit uns die Stadt anzusehen, daraus wurde aber nicht viel, erst brauchten wir eine gute Stunde bis alle ihr Bargeld gewechselt hatten. In China ist das halt viel komplizierter als bei uns. Nach einem Bummel über den lokalen Markt wollten wir weiter in Richtung eines Parks, der sehenswert sein soll. Schon nach fünf Minuten wurden wir von einer Polizeistreife angehalten. Linus musste sich ausweisen und erklären, wer-wie-was-warum wir einfach so durch die Stadt streifen. Für uns hieß das zehn Minuten in der brütenden Sonne stehen und warten. Die Baumänner wollten darauf hin zurück zum Hotel, das ging aber nicht, denn besagte Polizeistreife hatte verfügt, dass wir zwar weitergehen dürfen, aber alle zusammen bleiben müssen. Das ging fünf Minuten gut und schon war die nächste Streife fällig. Die verfügte dann, dass wir mit Taxis ins Hotel fahren müssen, denn Fremde dürften sich nur in einem Umkreis von 200 Metern vom Hotel bewegen. Oh, wunderbare totalitäre Welt! Die Obrigkeit hat Angst vor dem eigenen Volk, fürchtet sich davor, dass die Bürger erfahren könnten, dass anderswo freier gelebt wird. Die Grenznähe zu Kasachstan und hin und wieder Demonstrationen von „abtrünnigen“ Uiguren verschlimmertndas Ganze noch. Grad neben dem Hotel hat’s ein kleines Beizlein, dort aßen wir dann zum Trost herrliche Nudelsuppe.
Um 14 Uhr kam dann – nein, nicht unser roter Setra – wieder ein chinesischer Bus samt Chauffeur, um uns an den Sairam-See zu fahren. Von unseren zurückgebliebenen Leuten wussten wir nur, dass sie noch immer im Zollhof „gefangen“ waren und dass es aus nicht ersichtlichen Gründen nicht vorwärts ging. Wir kamen uns sehr verlassen vor.
Die Fahrt ging erst bequem über die Autobahn, auf halbem Weg aber war abrupt Schluss mit der Bequemlichkeit, die Straße wurde zum Bachbett. Holterdipolter schlängelte sich der Bus in die Höhe bis auf 2.500 Meter zu unserem Berghotel. Die luxuriöseste Berghütte, die ich je gesehen habe, was die Inneneinrichtung betrifft. Damit hatte es sich leider auch schon: Strom (ab Generator) gab es ab 19 Uhr und heißes Wasser ab 23 Uhr. Heizung gab’s gar keine und draußen lagen die letzten Schneeflecken. Sämtliche Pullover, Jacken und Windjacken zogen wir uns an und froren trotzdem fürchterlich, sogar die Kopftücher wurden wieder ausgegraben und um Hälse und Hüften geschlungen. Die Petflaschen wurden zu Bettflaschen. Ein strahlend schöner nächster Morgen war die Belohnung fürs nächtliche Schlottern. In verschiedenen Gruppen gingen wir wandern. Weit und breit keine Polizei, die uns kontrollierte, nur Bergfrühling von seiner allerschönsten Seite. Der Sairam-See lag frisch gebügelt da und spiegelte die Bergketten, überall Kühe mit ihren Kälbchen und Pferde mit den Fohlen, Idylle pur.
Höhepunkt des Tages: So gegen 18.30 Uhr erspähten wir (Ute hat gewonnen, sie sah ihn als Erste) unseren roten Liebling und kaum eine Viertelstunde später rollte er – von unserem Freudengeheul begleitet – auf den Hotel-Vorplatz. Welche Erleichterung, die Familie war wieder komplett!
Am nächsten Morgen ging’s dann zügig Richtung Urumqi, wieder in warme Gefilde. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl in China angekommen zu sein. Keine ruhige, kühle bis kalte Bergwelt, nein Hitze, Lärm und Gestank, Leben pur.
Dejeuners sur l’herbe
Schon lange wollte ich Euch von unseren Picknicks berichten, die haben es nämlich in sich. Immer wenn es die Strecke oder die Zeit erlaubt, ist mittags Picknick angesagt. Das geht so: Unterwegs – möglichst nah beim vorgesehenen Ort – kaufen Ina und Hans-Peter ein. Am Picknickplatz wird erst eine große (etwa 2 Meter Durchmesser, mindestens) runde bunt bestickte Decke aus Isfahan auf den Boden gelegt. In die Mitte kommen die Früchte, darum herum werden auf Kartontellern die Köstlichkeiten drapiert, die da wären, Gurken, Tomaten, Oliven, Käse, Wurst, etc., dazu herrliches frisches Fladenbrot und als Höhepunkt das Knoblauchöl und das geht so: Waltrun (sie kann’s am besten von uns allen) schneidet den Knoblauch in winzige Würfel (1 mm Seitenlänge, höchstens), darauf wird dann bestes Olivenöl geschüttet. Da hinein tunken wir dann das Brot, bevor wir es – jede/r nach eigenem Gusto - belegen. Tönt nicht nur herrlich, ist es auch. An den schönsten Orten haben wir schon gepicknickt, am Ufer des Euphrat, neben dem Serail von Dogoubayakir, auf einer Bergwiese, unter Bäumen vor einer alten Moschee mitten in Nain und und und. Jedes Mal ein landschaftliches und kulinarisches Highlight.
Unsere Reiseleiter
In jedem Land begleitet uns ein „einheimischer“ Guide. Alle sprechen deutsch, meist gut bis sehr gut. Trotzdem hat halt unsere Sprache ihre Tücken. Unser Reza im Iran – ein wunderbarer Reiseleiter, er wurde uns zum Freund – konnte das Wort Mausoleum einfach nicht richtig aussprechen, heraus kam meist Mauseelium (Betonung auf e). die Skulptur wurde bei ihm zur Struktur. Es versteht sich von selbst, dass wir diese Ausdrücke sofort in unseren Wortschatz aufnahmen. Che, unser chinesischer Begleiter, hat uns heute Nachmittag auf ein Feld aufmerksam gemacht „Schaut mal rechts, da seht ihr ein großes Wollblumenfeld.“ Gemeint war Baumwolle. Die Wollblume wird wohl auch in unseren Chinareise-Wortschatz Einzug halten.
Gesundheit
Leute, wenn ihr das Zipperlein habt oder sonst kleine Wehwehchen, geht auf eine große Avanti-Tour! Vor der Reise hat mir mein Rücken arg zu schaffen gemacht. Seit ich mit unserer Reisegruppe stundenlange Stadtbesichtigungen oder – auf dem Lande – Wanderungen über Stock und Stein absolviere, geht’s dem Rücken immer besser. Ein paar Pfunde habe ich danke „Montezumas Rache“ liegen lassen und dank der leichten chinesischen Küche kamen die auch nicht zurück. Das für uns eher mühsame Essen mit Stäbchen, führt dazu, dass ich viel langsamer und weniger esse. Juhui, die Hosen werden immer weiter. Hoffentlich geht’s weiter so.
Das wär’s für heute. Mitternacht ist vorbei (wir sind euch jetzt 6 Stunden voraus) und ich muss noch packen, denn morgen zieht die Karawane weiter gen Hami. Dort wachsen die besten Melonen, mmmmmh.
Zhu nin jian-kang (bleibt gesund), herzlichst
Heidi Bisang