Barbara Volhard: Chinesisches
Nur noch mal zur Erinnerung: Alles Kursive ist die Beschreibung des Reiseverlaufs von Avanti. Ich zitiere es hier, um mir das Verfassen des Gleichen zu ersparen.
Jetzt ist aber mal fällig, dass ich über das Essen in China berichte. Das erste Mal, dass wir das so richtig mitbekamen, war am Sairam-See. Man sitzt etwa zu zehnt um einen runden Tisch, dessen größter Teil in der Mitte von einer großen, sich drehenden Glasplatte eingenommen wird. Jeder hat außerhalb dieser Platte etwa 30 cm Tisch-Platz. Dort hat man dann ein winziges Tellerchen, ein Schüsselchen und ein Porzellanlöffelchen zur Verfügung. Auf die Glasplatte kommen etwa sechs bis acht verschiedene Gerichte, diverse Gemüse, Fleisch, Nudeln und Reis, Warmes und Kaltes (Salate), Süßes und Salziges gleichzeitig, und nun beginnt man, mittels Stäbchen (!!!) eine Bohne, eine etwa ein Meter lange Nudel oder ein Stück Fleisch zu erhaschen, möglichst bevor die Platte sich weiterdreht, weil andere geschickter sind als du und an das nächste Gericht wollen. Eine Mitreisende traf es auf den Punkt: man kann vor dem vollen Teller verhungern. Denn nun hast du die Bohne, das Fleisch und die Nudel auf dem Tellerchen und musst sie von dort mit den Stäbchen in den Mund praktizieren. Kleckern inbegriffen. Während du also verzweifelt versuchst, wenigstens eine Kostprobe von jedem Gericht zu bekommen, werden leere Schüsseln bereits abgeräumt und die nächsten sechs Gerichte aufgetischt. Am Schluss hat es mindestens 15 verschiedene Sachen gegeben.
Du lernst, dass du den Reis mit dem Löffel nehmen darfst und auch mit dem Löffel aus dem Schüsselchen essen darfst. Gottseidank, davon wenigstens kannst du satt werden! Das meiste ist köstlich, manches sehr scharf, aber es gibt ja reichlich Auswahl. Die Krönung des Essens am Sairam-See kam am Schluss: eine Schüssel mit Huhn. Aaah, denkt man, davon hätte ich auch gerne etwas. Und ein Stück Fleisch zu greifen ist auch einfacher als eine Bohne oder ein Maiskorn oder ein Stück glibbernden Chinakohl. Aber ach, in der Huhn-Schüssel befanden sich vor allem gekochte Hühnerfüße und Hühnerköpfe! Es gibt Leute – auch HP –, die das köstlich finden. Bei mir allerdings hört es dann auf. Uhrrg! Übrigens auch bei Schafkuddeln und Pferdefleisch, was wir beides inzwischen auch schon bekamen. Aber immerhin: Während der Scheff genüsslich an einem Hühnerkamm schlotzte (das Auge soll auch besonders gut sein!), verkündete er zu meiner Beruhigung: „Aber Hund essen wir nicht!“
Die besseren Restaurants haben übrigens nicht wie bei uns einen großen Raum, in dem viele Tische stehen, sondern mehrere Räume, in denen jeweils entweder drei oder zwei oder auch nur ein Tisch stehen, sodass jede Gruppe oder Familie nicht nur ihren Tisch, sondern sogar ihren eigenen privaten Raum hat, quasi ein Separé. Im Übrigen gilt die Devise „Kitsch as Kitsch can“. Es glitzert nur so in chinesischen Restaurants.
Wenn wir mittags irgendwo, oft in einer kleinen Garküche am Straßenrand, einkehren, dann gibt es meist ein Nudelgericht, sehr gut, mit etwas Gemüse und/oder Fleisch und einer wohlschmeckenden Soße drin. Allerdings müssen wir dabei alle unsere Manieren vergessen: Es geht nur so, dass man sich mit den Stäbchen den Anfang von ein paar meterlangen Nudeln in den Mund schiebt, den Kopf tief über den Teller hängt, ein Stück hochschlürft, dann abbeißt und den Rest wieder in die Soße fallen lässt. Platsch.
Ein Problem: Das Frühstück unterscheidet sich vom Abendessen höchstens in der Anzahl der Gerichte, es gibt vielleicht nur acht, statt 15. Mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, oder auch ungefüllte Teiglinge, die wie Dampfnudeln aussehen und ungesalzen sind, nebst Gemüse, Reis, Nudeln, Fleisch usw. Brot kennen die Chinesen offenbar nicht, auch Käse nicht, von Wurst, Butter oder Marmelade ganz zu schweigen. Das ist für Deutsche, bei denen es das täglich‘ Brot immerhin bis ins Vaterunser geschafft hat, schon mehr als gewöhnungsbedürftig. Nur in sehr vornehmen Hotels gibt es dann auch mal Toast bzw. „American Breakfast“, das ja auch nicht ganz unser Geschmack ist.
In Urumqi machte Linus uns auf eine Dépendance der französischen Supermarktkette Carrefour aufmerksam, wo man z.B. richtigen Kaffee und Käse kaufen könne. In mir stiegen Visionen von Baguette mit Camembert und Rotwein auf, und ich beschloss, mir das zum Abendessen zu gönnen. Baguette gab es nicht, aber Fladenbrot, das bisher auch immer sehr gut gewesen war, in Eile griff ich mir den einzigen Brie, den es gab, noch eine Flasche Great Wall Dry Red Wine, und abends freute ich mich schon auf mein tolles Abendessen. Leider stellte sich nur heraus, dass das Brot altbacken war, der Käse war in einer Büchse (!) eingeschweißt. Auf der Packung stand: „Manufactured by Käserei Champignon, Heising, Bavaria, Germany“, und so schmeckte er auch. In Freiburg hätte ich, von französischen Käsesorten verwöhnt, diesen Käse allenfalls mit Verachtung gestraft. Der Wein ließ auch zu wünschen übrig, kurz, die Sache war ein Reinfall. Ich werde reumütig zu Nudeln zurückkehren. Jedenfalls bald, denn noch sind wir in der Provinz Xinjiang (so groß wie Deutschland Frankreich, Spanien und Großbritannien zusammen!), die ja hauptsächlich von den Uiguren bewohnt wird. Die sind wie die Türken, Usbeken, Turkmenen, Kirgisen, Kasachen ein Turkvolk (die Sprachen sind untereinander sehr ähnlich) und kennen daher Brot, das man noch an Ständen an der Straße kaufen kann, aber im Gegensatz zu ihren Vettern und Nachbarn, bei denen es dazu wenigstens Käse gibt, haben sie sich offenbar schon an die asiatischen Verhältnisse angepasst, denn die Asiaten vertragen keine Milchprodukte, weil ihnen dazu ein Verdauungsenzym fehlt.
Ein zweites Thema ist Schlafen in China. Probiert mal die härteste Matratze, die es in Deutschland gibt, aus. Ich garantiere, dass die im Vergleich zu den brettharten chinesischen Matratzen noch weich ist. Ich vermisse das Hüftpolster, das mich seinerzeit beim Zelten auf meiner dünnen Schlafmatte vor blauen Flecken bewahrt hat! Aber immerhin gibt es wieder ordentlich bezogene Decken, nicht irgendwelche Wolldecken mit viel zu kurzen Laken drunter, die man dann am Morgen irgendso an den Füßen zusammengewurschtelt hat, während man unter der Wolldecke blank liegt und sich Hautschuppen und wer weiß was sonst noch mit seinen VorgängerInnen teilt.
Auch beim Schlafen kann man erkennen, was für ein fleißiges, arbeitsames Volk die Chinesen sind. Sie arbeiten buchstäblich Tag und Nacht. Besonders deutlich ist das, wenn du z.B. im 18. Stock eines Hotels wohnst, und dann nachts um 2 oder 3 Uhr hunderte schwere Eisenstangen auf der Betonplatte des 15. Stockwerks des gegenüberliegenden Baus abgeladen – oder besser: geschmissen – werden. Schlafmusik.
28.05. Freitag 45. Tag Urumqi Urumqi ist auch die wichtigste Stadt der Landschaft Dsungarei. Urumqi ist die am weitesten vom Meer entfernte Großstadt der Welt. Sie liegt am Nordfuß des Tianshan-Gebirges. Wichtigste Industrien sind die Petrochemie, Textil- sowie Eisen- und Stahlindustrie. Ebenso hat sich mit dem größten Windpark in China die Windenergie in der Region Urumqi etabliert. Die Eisenbahnlinie Peking – Almaty (Kasachstan) führt durch Urumqi. Es ist eine ganz moderne Stadt, die wir heute kennenlernen.
29.05. Samstag 46. Tag Urumqi – Turfan Weiter geht es, nun auf der Autobahn in das ca. 200 Kilometer entfernte Turfan, wo wir am Mittag eintreffen werden. Die ehemalige Oase Turfan hat eine lange Geschichte und war ein bedeutendes Zentrum der Seidenstraße. Vom 5. bis 7. Jahrhundert stand Turfan unter türkischer Herrschaft, 640 wurde es dann von China besetzt, das 790 von den Tibetern abgelöst wurde. 843 wurde Turfan Teil des zweiten uighurischen Reiches. In dieser Zeit breitete sich neben dem seit etwa Christi Geburt herrschenden Buddhismus auch das Christentum und der Manichäismus in Turfan aus.
30.05. Sonntag 47. Tag Turfan Die Stadt Turfan befindet sich am Nordrand der Turfan-Senke, die an ihrer tiefsten Stelle – an den Ufern des Aydingkol- Sees – 154,5 m unter NN liegt. Damit ist sie, nach dem Toten Meer, die zweittiefste Senke der Erde. Die Oase wird durch jahrhundertealte, unterirdische Kanäle (Qanate), die Schmelzwasser aus dem ca. 70 km entfernten Hochgebirge des Tianshan herbeiführen, bewässert. Angebaut werden vor allem Melonen, und Trauben, die zu Rosinen getrocknet werden. Da die Bevölkerung muslimisch ist, werden die Trauben nicht zu Wein verarbeitet. Ein Ausflug in die Umgebung macht uns mit diesem Bewässerungssystem bekannt, mit Ausgrabungsstätten und dem so genannten »Traubental«.
Diese Bewässerungsanlage ist in der Tat ein technisches Meisterstück! Seit 2.000 Jahren wird sie in gleicher Weise betrieben und aufrechterhalten. Das Wasser wird unterirdisch (um die Verdunstung zu verringern) in inzwischen über 3.000 km langen von Hand gebuddelten Tunnels herangebracht und ist glasklar.
Wir besichtigten die Ruinen der alten Stadt Jiaohe und die in den Fels gehauenen Bezikelik-Grotten, deren früheste aus dem 5. und 6. Jahrhundert stammen. In ihnen gibt es noch gut erhaltene Fresken, allerdings zum großen Teil zerstört von westlichen Wissenschaftlern, die sie zu Anfang des 20. Jahrhunderts einfach abgeschlagen und nach Berlin bzw. London gebracht haben. Dabei wurde geradezu brachial vorgegangen: aus einem Bild wurde z.B. einfach der mittlere Teil herausgebrochen, der Rest blieb stehen. Dabei erschließt sich die Bedeutung eines solchen Bildes natürlich nur aus seiner Ganzheit, nicht aus seinen Teilen. Skandal. Die Sache ist bis heute ein Politikum zwischen China und den beteiligten Ländern.
Ein weiteres Thema ist Wohnen in China. Das erste, was mir beim Eintritt nach China auffiel, ist die unglaubliche Armut der Landbevölkerung. Man fährt an Dörfern vorbei, deren buchstäblich verfallende, verrottende Lehmbauten einen zunächst glauben lassen, es handele sich um verlassene Geisterstädte, bis man sieht, dass sie tatsächlich BEWOHNT sind! Die Städte hingegen sind modern, mit großem Verkehrsaufkommen, aber die Häuser sind oft ungepflegt, überall liegt Müll herum, auch die Balkons der Hochhäuser scheinen vor allem als Müllabladeplatz zu dienen, und manchmal kann man aus dem Hotelfenster von oben sehen, dass hinter durchaus eleganten Fassaden die gleiche Armut herrscht, mit den genauso baufälligen Häusern wie auf dem Land. Bei großer Hitze übrigens schlafen die Leute auf den Dächern, tags sieht man überall die Betten mit zusammengerolltem Bettzeug herumstehen.
Hier muss ich etwas nachtragen, das mir in Samarkand/Usbekistan auffiel. Muslimische Völker legen ja großen Wert auf den Schutz ihrer Privatsphäre. In Vorderasien (Türkei, Iran) wird das Problem bekanntlich durch vergitterte Fenster gelöst, durch die man zwar hinaussehen, nicht aber von außen hineinsehen kann. In Samarkand nun fiel mir auf, dass in den Straßen, die noch altstädtisch zu sein schienen, also ein- bis zweistöckige Häuser hatten, es so gut wie gar keine Fenster gab. Man sieht entweder haushohe Mauern mit Toren, oder Häuser mit Türen, aber keine Fenster. Wenn da ein Fenster war, dann war es mit Sicherheit ein Ladenfenster. Hin und wieder gelang es mir, durch ein nur angelehntes Hoftor hineinzuspähen: dann konnte ich sehen, dass die Häuser alle ihre Fenster nach innen, zu den Höfen hin hatten. Und in der Hitze, die hier herrscht, findet das Leben im Wesentlichen auf diesen Höfen statt. So scheint das auch noch in diesem Teil Chinas zu sein, der ja hauptsächlich von muslimischen Uiguren bewohnt wird. Ich konnte vom Hotel aus mal von oben in so einen Hof hineinfotografieren:
31.05. Montag 48. Tag Turfan – Hami Von Turfan geht es auf der Schnellstraße (ca. 400 km) weiter nach Hami, einer alten Oase, die im Uigurischen Kumul genannt wird. Hami ist außerhalb Chinas vor allem durch die nach ihr benannten Hami-Melonen (Hami Gua oder Honigmelonen) bekannt.
01.06. Dienstag 49. Tag Hami Hami ist eine halbwegs moderne Oasenstadt mit wenig Industrie und ohne antike Bauten. Besichtigen kann man aber eine 10 m hohe prächtige islamische Grabanlage (Hãmì Wángmù) aus dem Jahr 1840, ca. 2 km südlich der Stadt nahe der Moschee (Qïngzhën Sì), in dem einer der insgesamt neun uigurischen Könige von Hami mit Namen Bochir samt seinen Frauen begraben liegt. Auf dem Weg zum Grab kommt man am heiligen Grab Gai Sis (Gaìsï Mù) vorbei, der im 7. Jahrhundert als muslimischer Missionar nach China gekommen war. Die Hami-Könige hatten ihm an dieser Stelle ein Denkmal errichtet, das 1939 zerstört wurde. 1945 sammelten lokale islamische Honoratioren Geld, um das heilige Grab (Mazar, chin. Mazha) wieder aufzubauen.
Während die Gruppe mit dem Bus nochmal in die Berge fuhr, hatte ich mir frei genommen, besichtigte die Grabanlage und schlenderte durch die Stadt – als einzige Langnase unter lauter ChinesInnen. Man guckt ja ganz anders, als wenn man in einer Gruppe – und von den dabei geführten Gesprächen – abgelenkt wird. Es gab nicht einen Touristen, und die Leute scheinen die auch nicht gewöhnt zu sein. Denn dort, wo Touristen eine häufigere Erscheinung sind, werden sie auch umgehend von HändlerInnen in sehr aggressiver Weise bedrängt, etwas zu kaufen. Ich hingegen konnte völlig unbehelligt durch den Bazar gehen, in Ruhe schauen und das Leben dort beobachten. Durch die engen Gassen wuseln kleine, der Enge angepasste Lieferwagen:
Männer spielen ein Brettspiel Hausfrauen eilen hindurch und kaufen Obst und Gemüse, es ist voll. Auffallend, dass es kaum ältere Leute jenseits 40-50 Jahren zu geben scheint, dieses Volk ist ein junges!
Schade nur, dass man mit niemandem reden kann. Sogar die mir durchaus geläufige Verständigung mit Händen und Füßen mithilfe von fünf bis zehn Wörtern, die überall sonst klappt, klappt hier nicht. Auch die Handzeichen sind nämlich anders: wenn du die Zahl zwei zeigen willst, wie bei uns üblich mit Daumen und Zeigefinger, dann bedeutet das hier eine acht. Eine sechs zeigst du nicht mit sechs Fingern, sondern mit Daumen und kleinem Finger, wobei die anderen drei Finger geschlossen bleiben usw. Auch in den Hotels können die Angestellten meist nur ein paar Brocken Englisch, und selbst da ist die Verständigung auch über einfachste Dinge schwierig.
Die chinesische Sprache scheint von der Grammatik her relativ einfach zu sein, das Problem ist die Aussprache. Dass es da verschiedene „Tonhöhen“ geben soll, hat man ja schon mal gehört, inzwischen weiß ich es etwas genauer. Es geht dabei um die Hebung oder Senkung des Tons, ähnlich wie wir am Ende einer Frage den Ton erhöhen, quasi von unten nach oben schieben: bei „kommst du morgen?“ sprechen wir das „mor“ etwas tiefer als das „gen“. Im Chinesischen kann sogar eine einzige Silbe (!) nicht nur von unten nach oben gesprochen werden, sondern auch von oben nach unten, manchmal sowohl als auch, d.h. der Ton der Silbe fängt oben an, senkt sich nach unten und geht dann wieder nach oben (bösartig beschreibbar als eine Art Jaulen). Ein dreisilbiges Wort könnte also bestehen aus einer Silbe, die wie beschrieben diesen Bogen macht, einer zweiten, die von oben nach unten und einer dritten, die von unten nach oben gesprochen wird. Dann gibt es noch im Ton gleich bleibende Silben und außerdem noch Unterarten dieser vier Betonungsarten. Das alles wäre noch nicht mal so schlimm, in der lateinischen Umschrift der Wörter gibt es dafür spezielle Akzente, aber die Umschrift selbst ist ein Problem. Wer immer sich das ausgedacht hat, hatte dabei jedenfalls nicht die deutsche Aussprache im Sinn. Da wird r wie j (Journal) ausgesprochen, q wie tj, x wie ch (in ich), a wie ä, i meist ebenfalls, manchmal aber auch nicht usw., und das soll man dann auch noch lernen. Ich lerne Fremdsprachen normalerweise recht schnell, hier aber schnalle ich ab.
Das, was diese Chinareise - mal abgesehen von den kulturellen Eindrücken - wirklich interessant machen würde, das Gespräch mit den Menschen, findet also nicht statt. Es gibt aber einen Ersatz. Der englische Journalist Rob Gifford, der jahrelang in China gelebt hat und chinesisch kann, ist am Ende seines Aufenthalts genau die Strecke gefahren, die wir auch fahren, nur anders herum: von Shanghai bis Korgaz, eben jenem Grenzposten nach Kasachstan, wo man unseren Bus fast nicht nach China hineingelassen hätte. Er hat die unterschiedlichsten Verkehrsmittel benutzt, Busse, Taxis, manchmal auch per Anhalter auf Lastern, und er HAT mit den Menschen gesprochen, gerade auch solchen aus den unterschiedlichsten Ethnien und darüber ein Buch geschrieben: „China Road“. Auf Deutsch unter dem albernen Titel „Chinas großes Herz.“ Dabei entstand ein sehr facettenreiches Bild dieses so heterogenen Landes, die Lektüre lohnt sich.
02.06. Mittwoch 50. Tag Hami – Dunhuang Auf Autobahnen und Landstraßen fahren wir weiter ins ca. 400 km entfernte Dunhuang in der Provinz Gansu. Dunhuang liegt am Westende des Hexi-Korridors inmitten von Wüstengebieten. Die Höhe beträgt 1.100 m. Unweit der Stadt Richtung Westen teilt sich die Seidenstraße in ihren nördlichen und südlichen Zweig zur Umgehung der Wüste Taklamakan.
Fahrt durch die Wüste Gobi, und zwar durch die „schwarze“ Gobi, die so heißt, weil sie von anthrazitfarbenem Geröll bedeckt ist, das nach einem Regen tatsächlich schwarz aussieht. Solche Wüstenfahrten sind sehr unterschiedlich. Manchmal gähnend langweilig, weil um einen herum alles flaches, graues Geröll ist, das einzig Interessante ist die Feststellung, dass der Horizont in der Tat rund ist und die Erde tatsächlich wie eine Scheibe wirkt. Und doch: es gibt auch Leben darin. Vereinzelt gedeihen kleine Sträucher, die sogar blühen. Dann aber kommen wieder atemberaubende Formationen, Hügel, Berge, raue Täler, Felsformationen, keineswegs nur „schwarz“, sondern häufig auch „blond“, und die Mischung aus beidem sieht dann besonders spannend aus.
Ab und zu kleine Oasenorte, dort wird es dann knall auf Fall saftig grün, es wachsen sogar Bäume. Und dann kommen wir nach Dunhunag, und am Ende der Straße sieht man schon die berühmten „singenden Dünen“, die allerdings nur unter bestimmten Windbedingungen „singen“. Wir haben ein wunderbares Hotel direkt daneben, von der Dachterrasse einen zauberhaften Blick.
Mittags halten wir oft in dem, was einer Raststätte entspricht, kleine, dunkle Kneipen, in denen man die schon erwähnten Nudeln bekommt. Der Hauptgrund für das Halten dort ist aber eigentlich nicht das Essen, sondern die Tatsache, dass wir unterwegs keine Büsche fanden – ihr wisst schon. Nur machten wir die Entdeckung, dass es die dort auch nicht gibt (wieso auch, wir sind in der Wüste), ein Klo allerdings auch nicht. Es gibt nur die Open-Air-Toiletten in einer Kuhle irgendwo hinten, wo man dann zwischen den buchstäblich (ich übertreibe nicht!) Hunderten von Hinterlassenschaften anderer watend sich eine ca. 20 cm freie Stelle suchen darf. Wir verzichteten gerne und lernten wieder mal die Annehmlichkeiten des Reisens mit Avanti kennen: die Bordtoilette wird jetzt eben häufiger besucht.
03.06. Donnerstag 51. Tag Dunhuang Dunhuang wurde im Jahre 111 v. Chr. vom Kaiser Wudi der westlichen Han-Dynastie gegründet. Aufgrund ihrer Lage an der alten Seidenstraße spielte sie als wichtigster chinesischer Knotenpunkt dieses Handelsweges eine bedeutende Rolle im Kultur- und Warenaustausch mit dem Westen. So breitete sich der Buddhismus ausgehend von Dunhuang in China aus. Im Jahre 366 wurde der Bau der Mogao-Grotten begonnen und bis ins 14. Jahrhundert fortgeführt. In Mogao haben buddhistische Mönche zwischen dem 4. und 12. Jahrhundert etwa 1.000 Höhlen in die Sandsteinfelsen geschlagen und mit buddhistischen Motiven (Buddha-Statuen, Skulpturen und Wandmalereien) verziert. 492 dieser Höhlen sind heute noch erhalten und zum Teil für Touristen zugänglich. Im Jahre 1900 entdeckte ein daoistischer Mönch rund 50.000 Dokumente aus dem 4. bis 11. Jahrhundert, die Mönche im Jahre 1036 in einer Höhle eingemauert hatten, um sie vor den heranstürmenden Mongolen zu schützen. Viele dieser Dokumente befinden sich heute im Besitz des Britischen Museums in London. 1942 wurde die Dunhuang-Akademie gegründet, um die Höhlen zu schützen und systematisch zu konservieren. Seit 1987 zählen die Mogao-Grotten zum Weltkulturerbe. Ausführliche Besichtigung am heutigen Tag.
Diese Grotten waren zweifellos das kulturell Beeindruckendste, was wir bisher in China zu sehen bekamen. Aber der Satz „ Viele dieser Dokumente befinden sich heute im Besitz des Britischen Museums in London“ zeigt ja schon, dass auch hier die Wissenschaft sich als Räuberei betätigt hat. Die Grotten werden sorgfältig im Dunkeln gehalten bei konstanter Temperatur, nur eine begrenzte Zahl von Besuchern wird zugelassen. Wir bekamen acht Grotten zu sehen, wobei eine ausgezeichnete Führerin uns genau erklärte, was noch im Original erhalten war (meist die Wandgemälde) und was restauriert (meist die Bemalung der Skulpturen), auch die Bedeutung der Bilder und die Geschichten, die sie z.T. erzählen. Was wir da an kunstvollsten Bildern zu sehen bekamen, war unglaublich. Gebäude schon im 8. Jh. perspektivisch gemalt (das kam in Europa erst sechs Jahrhunderte später!), Tiere und Menschen so lebendig und bewegt gezeichnet, es war erstaunlich. Natürlich durfte man nicht fotografieren, die Blitze hätten den Bildern geschadet. Ich habe aber mal eine Zeichnung von einer Postkarte abfotografiert und schicke sie euch.
Am Schluss, als wir das ganze Programm absolviert hatten, fragte uns unsere Führerin, die wohl unser echtes Interesse und unsere Begeisterung bemerkt hatte, ob wir noch eine Grotte sehen wollten. Natürlich wollten wir, und nun zeigte sie uns den Höhepunkt: eine vollständig im Original erhaltene Grotte, in der auch die Skulpturen nicht restauriert waren. Die war die Schönste, denn sie war harmonischer als die anderen, in denen die Skulpturen eben doch lautere – weil neuere – Farben hatten als die übrigen Malereien.
04.06. Freitag 52. Tag Dunhuang Ruhetag Heute legen wir einen Ruhetag ein. Unser Hotel liegt am Rande der Stadt, unmittelbar neben den Sanddünen, die sich bis zu 300 m hoch auftürmen. Eine fantastische landschaftliche Umgebung, zu der auch der wenige Hundert Meter entfernte Mondsichelsee bei den Dünen gehört. Eine perfekte Gelegenheit, zu Fuß die Umgebung zu erkunden, zur Ruhe zu kommen, zu entspannen, mit Muße den Tag zu genießen und von der Terrasse des Hotels den Blick in die Wüste schweifen zu lassen.
Naja, und ich habe geschrieben. Damit ist jetzt aber wieder mal für eine Weile Schluss! Vorher will ich aber noch etwas sagen: Vor Jahrzehnten hatte ich meine erst und letzte (!) Busreise über Land, nämlich nach Spanien gemacht und mir geschworen, mir so etwas nie wieder zuzumuten. Die Vorstellung einer Busreise war für mich der reine Graus. DIESE Reise mit Avanti hatte ich nur deshalb gebucht und dabei in den sauren Apfel Busreise gebissen, weil ich sie anders nicht bekommen hätte. Ich kann nur sagen, ich habe mir inzwischen mit Interesse den Katalog von Avanti angesehen und überlege schon, ob ich nicht nächstes Jahr die Reise ums Mittelmeer (Libyen! Ägypten! Jordanien!) mitmache. Soviel zum Thema Busreisen. Aus der Saula wurde eine Paula.
Barbara Volhard
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