Iran – Turkmenistan – Usbekistan
05.05. Mittwoch 22. Tag Shahrud – Mashhad
Aus dem Katalog: "Auch heute sind wir viel unterwegs, unterbrochen vom Besuch einer alten Koranschule und den üblichen Pausen, aber ans Fahren haben wir uns mittlerweile gewöhnt, und morgen ist schließlich wieder ein Ruhetag. Auf Achse zu sein ist mittlerweile fast schon zur Sucht geworden, und die intensiven Eindrücke der persischen Landschaften sind einfach unglaublich. Am Nachmittag erreichen wir Mashhad."
Naja, Sucht? Ist wohl etwas übertrieben, aber ich empfinde die Fahrerei durchaus als erholsam. Der Bus ist sehr bequem, man lässt die Landschaft an sich vorüber gleiten, aber da sie nicht immer spektakulär ist, kommt man auch mal zum Lesen. Dann wieder teilt die liebe Ina Kaffee aus, und die Zigaretten- bzw. Pinkelpausen sind auch nicht zu weit auseinander. Aber die alte Koranschule hab ich ausgelassen, denn das Programm ist ja nicht Pflicht: ich habe lieber die pittoresken kleinen Läden fotografiert, die es in diesem von Touristen völlig unbeleckten Vorort von Shahrud gab. Die zeige ich euch später.
06.05. Donnerstag 23. Tag Mashhad
Aus dem Katalog: "Die Hauptstadt der Provinz Khorasan, die im Nordosten Irans an Afghanistan und Turkmenistan grenzt, liegt auf knapp 1.000 m Höhe inmitten eines wasserreichen Tales und ist eine der landwirtschaftlich produktivsten Regionen Irans. Bekannt ist Mashhad als bedeutendster Wallfahrtsort der Schiiten durch das Grab des achten Imam Ali Reza. Besichtigung verschiedener Denkmäler und Bauwerke, anschließend Mittagspause in einem schönen Ausflugsort der Städter in der Nähe von Mashhad. Der restliche Tag steht zur freien Verfügung, eventuell gibt es die Möglichkeit zur individuellen Besichtigung des Heiligtums."
Merkwürdiges Gefühl, so nahe an Afghanistan vorbeizufahren! Mashhad ist eine wirklich sehr sehr heilige Stadt, die heiligste Irans, sie kommt wohl gleich nach Mekka. Es gibt hunderttausende von Pilgern, die wie die Fliegen über diese ansonsten ziemlich uninteressante Großstadt herfallen und durch deren Gewusel man im Basar kaum durchkommt. Auffallend die vielen in schwarzem Tschador gehüllten Frauen, die dieses Tuch vorschriftsmäßig von innen (!), damit man auch ihre Hand nicht sieht, zusammenhalten.
Ein Wort zur Reisegruppe ist hier wohl angesagt: Nach wie vor gibt es keine Spannungen, und dabei hätten die hier ausbrechen können. Es gab nämlich unterschiedliche Ansichten darüber, ob es wohl angebracht wäre, das Heiligtum zu besichtigen oder nicht. HP berichtete, wie er sich vor zwei Jahren in dem Hotel in der Nähe des Heiligtums inmitten dieser zutiefst ergriffenen Menschen eigentlich unwohl oder deplatziert gefühlt habe. Einige von uns fanden daher, dass wir nicht dorthin gehen sollten, um die Leute zu beobachten, andere aber sind hingegangen. Wir haben uns unsere unterschiedlichen Meinungen zwar mitgeteilt, aber es kam darüber nicht zu Auseinandersetzungen. Man nahm die andere Ansicht einfach zur Kenntnis und tat, was man für richtig hielt.
Ich selbst habe mir überlegt, wie ich mich wohl gefühlt hätte, wenn ich, vergleichbar ergriffen – vielleicht am Grab einer mir sehr nahe stehenden Person – von einer japanischen Reisegruppe beobachtet worden wäre und bin nicht hingegangen.
Die Mittagspause an einem See war sehr schön. Wir lagerten auf Divans, das Essen wurde vor unseren Augen gegrillt, das hat großen Spaß gemacht (siehe Bild anbei).
07.05. Freitag 24. Tag Mashhad – Mary Grenze Iran/Turkmenistan
Aus dem Katalog: "Fahrt von der iranischen Stadt Mashhad zur Grenze nach Sarakhs. Einreise nach Turkmenistan in Serahs. Befreites Aufatmen der Frauen: Die Kopftücher dürfen weg! Weiterfahrt in der turkmenischen Wüste bis nach Mary (ca.160 km ab der Grenze). Ein erstes Bierchen nach elftägiger Abstinenz. Wie »westlich« oder sowjetisch und wenig orientalisch uns nun alles erscheint. Abendessen und Übernachtung im Hotel in Mary."
In der Tat: Wir rissen uns jubelnd die verschwitzten und juckenden Dinger vom Kopf, und es war uns völlig wurscht, was für angeklatschte „Frisuren“ darunter zum Vorschein kamen! Eine Frau, die erst in Teheran zu uns gestoßen war, bekam uns das erste Mal ohne Kopftuch zu sehen! Sehr komisch, sie hatte keine Vorstellung davon, wie wir wohl „wirklich“ aussähen.
Grenzübergänge: Es wurde ja angekündigt, dass sie mehrere Stunden dauern könnten, und das taten sie auch. Zumeist heißt es Schlange stehen oder sitzen. Also: Erst muss der Beamte des zu verlassenden Landes einen Ausreisestempel in den Pass tun. Meist darf er das nicht alleine, ein zweiter muss kontrollieren, ob er das auch richtig gemacht hat. Dann halten wir uns eine Weile im Niemandsland zwischen den beiden Ländern auf, weil ja auch der Bus noch kontrolliert, abgestempelt werden oder sonstwas muss. Solange der Scheff nicht mit dem Bus wieder auftaucht, passiert erst mal nichts. Dann steigen wir wieder ein, fahren einige zig Meter durchs Niemandsland und steigen wieder aus. Jetzt heißt es wieder Schlange stehen. Dann muss ein weiterer Beamter einen Einreisestempel in den Pass tun, ein zweiter muss kontrollieren (siehe oben), ein dritter übernimmt die Gesichtskontrolle, ein vierter guckt auch nochmal in den Pass, ob denn auch alles mit rechten Dingen zugegangen ist, und ein fünfter muss noch ein Häkchen irgendwo hin malen.
Im Falle Usbekistan kam noch hinzu: Vor der ganzen Passgeschichte steht da ein weiß gewandeter Herr und hält jedem ein Messgerät vor die Stirn. Dann guckt er es an, dreht es herum, damit wir auch lesen können, was da darauf steht, z.B. 35,8, und sagt zufrieden: „norrrmalll“. Wir begreifen: Er ist Arzt und misst unsere Temperatur, damit wir auch ja keine Schweinegrippe ins Land tragen. Zum Glück hat gerade niemand von uns Fieber. Und dann die Zollerklärung. Natürlich auf kyrillisch, kein Mensch kann das lesen, und das ins Englische übersetzte Musterexemplar, das da oben an der Wand hängt, ist so weit oben und auch noch in winziger Schrift, dass man es auch nur mit Mühe lesen kann, und diejenigen, die kein Englisch können, schon mal gar nicht. Und so tragen dann einige das Einreisedatum als ihr Geburtsdatum ein, andere benennen ihr Geburtsland mit Turkmenistan und ihre Staatsangehörigkeit mit Usbekistan, Männer bezeichnen sich als weiblich und Frauen als männlich, es ist ein heiteres Durcheinander. Einige müssen wegen vieler Streichungen und Korrekturen nochmal ausfüllen, weil der arme Zollbeamte nicht mehr drauskommt.
Und dann sitzen wir wieder und warten, denn der Bus muss auch noch durch eine Art TÜV und dafür über ein ähnliches Loch fahren und von unten kontrolliert werden, wie unsere Autos beim TÜV auch, von der Kontrolle der Fahrzeugpapiere, der Versicherung, der Genehmigung, durchs Land zu fahren ganz zu schweigen, und erst dann können wir weiter.
11. Mai
Heute Nachmittag haben wir „frei“, ich aber habe genug vom Herumlaufen in Buchara, wo man an jeder Ecke bedrängt wird, Teppiche, Seide, Keramik, Metallziselierungen oder Schmuck zu kaufen. Ich habe vier Schälchen gekauft, als Mitbringsel, und vor dem Hotel sind sie mir dann aus der Hand gefallen und alle kaputt. Frust. Aber jetzt habe ich erst mal Zeit, mich an Turkmenistan zu erinnern.
Der Übergang vom Iran nach Turkmenistan bedeutete einen ziemlich abrupten Wechsel von so ziemlich allem. Wir bekamen sehr nette neue Führer: Elena, die gut deutsch spricht und Mussa, der perfektes Englisch kann. Aber auch sonst ein plötzlicher Wechsel: der Landschaft, der Gebäude, der Kleidung der Frauen, der Buchstaben und Zahlen, der Fahrweise der Autos und… und… und…
Wechsel der Landschaft: Im Iran sind wir ja meist durch die karstigen Gebirge der Wüste gefahren, jetzt wird die Landschaft für kurze Zeit sanft wellig, wandelt sich in Steppe, wo wir auch eine Kamelherde samt Hirten antreffen (angeblich gibt es hier auch wilde Kamele), aber urplötzlich wird das Land topfeben und saftig grün, unwillkürlich fühlt man sich an die nordamerikanische Prärie erinnert, wo man angeblich einen Hund drei Tage lang beim Weglaufen beobachten kann. Eine ungeheure Weite, immer wieder durchzogen von Bewässerungsgräben und von dem in Schleifen durch das Land geführten etwa Dreisam-breiten Kanal.
Dessen Wasser wird dem Amu Darya entzogen, der aus dem Pamir kommend das Land durchfließt und zusammen mit dem durch Usbekistan fließenden Syr Darya ursprünglich dem Aral See das Wasser zugeführt hat. Die ökologische Katastrophe des austrocknenden Aral-Sees wird allerdings auch hier deutlich: Das Salz des Seewassers, das jetzt nicht mehr gebunden ist, wird durch den Wind in diese turkmenische Ebene getragen (auch in die usbekische). Wir sehen immer wieder weiße Flecken. Zusammen mit der intensiven Bewässerung dürfte das bald zur Versalzung dieser fruchtbaren Böden führen.
Noch aber hat man drei Weizenernten (!) pro Jahr, oder aber man sät Winterweizen und anschließend Baumwolle. Die ist ein Hauptexportprodukt neben Bodenschätzen wie Öl und vor allem Gas. Etwa 40% der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft, der Boden gehört dem Staat, kann aber gepachtet werden. Dann muss 70% dieses Bodens mit entweder Weizen oder Baumwolle bepflanzt und die Ernte an den Staat verkauft werden, und zwar zu einem inzwischen anständigen Preis, anders als zu Sowjetunion-Zeiten. Auf den restlichen 30% kann der Bauer anbauen, was er will und es privat verkaufen. Es gibt geschätzte 20% Arbeitslosigkeit (offizielle Zahlen werden nicht bekanntgegeben), das Land ist weder kommunistisch noch demokratisch, sondern folgt einem sogenannten dritten Weg, hat aber in vielem noch kommunistische Züge. Die Leute sind nicht gerade zufrieden, aber sie mucken nicht auf, denn, wie Elena erklärt, die Mieten sind lächerlich niedrig, Strom, Wasser und Gas gibt es kostenlos. Elena zahlt für ihre privatisierte Wohnung 70 Euro im Jahr (!), die staatlichen Wohnungen sind noch billiger.
Wechsel der Gebäude: Die Dörfer, durch die wir kommen, sind zwar ärmlich, aber doch nicht ganz so elend, wie manche iranischen Dörfer. Die im Iran durchgängig üblichen Flachdächer werden nun abgelöst durch Walmdächer. Der Einfluss der Sowjetunion ist deutlich sichtbar. Die Schrift an Geschäften und Straßen ist aber nur selten kyrillisch, sondern für uns wieder lesbar, auch die Zahlen: Die turkmenische Sprache ist mit dem Türkischen so eng verwandt, dass der Scheff, der etwas türkisch kann, die Turkmenen versteht. Und das Straßenbild wird bunter: Die Frauen tragen bildhübsche bunte lange Kleider, und ja, mit Kopftüchern, meist passend zum Kleid, aber schick nach hinten gebunden oder zu einer Art Turban, Hals, Dekolleté und Arme sind frei, also nicht mehr die triste schwarze Farbe, die von den meisten Frauen im Iran getragen wird, mit oder ohne Tschador. Die Kopftücher in Turkmenistan haben keine religiösen Gründe, sondern sind Bestandteil der Nationaltrachten, die hier noch getragen werden. Und wir dürfen unsere Fußnägel wieder lackieren. Wir sind übrigens nicht mehr unter Schiiten, sondern unter Sunniten. Wenn man mit dem Taxi fährt, stellt man befriedigt fest, dass nun wieder auf zwei Fahrspuren auch zwei Autos nebeneinander fahren und nicht drei oder dreieinhalb, das halbe noch irgendwie dazwischen gequetscht, und vor dem Zebrastreifen wird doch tatsächlich angehalten!
08.05. Samstag 25. Tag Mary, Merv
Aus dem Katalog: "Von Mary aus besichtigen wir die historische Stadt Merv,einst neben Bagdad, Damaskus und Kairo eine der bedeutendsten Städte der islamischen Welt und eines der wichtigsten Handelszentren an der Seidenstraße. Aufgrund der einzigartigen Gestaltung der Stadt kann man nebeneinander die Bauwerke vieler verschiedener Epochen sehen. Die ältesten erkennbaren Ansiedlungen stammen aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Am Nachmittag Rückkehr nach Mary. Übernachtung wie am Vortag im Hotel in Mary."
Eigentlich ist Merv ein riesiges Ausgrabungsgebiet. Aber interessant war es doch. Außerdem habe ich zum ersten Mal bewusst Tamarisken gesehen. Apropos Bäume: Es gibt in Turkmenistan wie auch in Usbekistan massenhaft Maulbeerbäume, die wohlschmeckende süße Früchte haben. Heute habe ich wieder mal welche geerntet! Neu für mich: Diese Maulbeerbäume eignen sich nicht für die Seidenraupenzucht, nur diejenigen, die keine Früchte haben. Seide wird längst nicht nur in China hergestellt, sondern auch in Turkmenistan und Usbekistan.
Mary selbst (gesprochen Maari) ist wohl eine typisch sowjetische Stadt, mit breiten Alleen, viel Grün und vielen Parkanlagen, riesigen sowjetischen Monumenten und Prachtbauten. Es scheint allerdings, dass Plattenbauten nicht so sehr eine sowjetische, sondern eher eine DDR-typische Bauweise waren. Wir waren dort am 8. Mai., am Vorabend des Nationalfeiertages, an dem in offenbar allen ehemals sowjetischen Republiken das Ende des 2. Weltkrieges gefeiert wird. Vor allen Monumenten wurde gefegt und gescheuert, und Schauspieler probten in den Straßen Stücke, die dann am nächsten Tag aufgeführt werden sollten. Und abends konnten wir bei Bier und Wein draußen sitzen: eine Seltenheit! Meist ist das in diesen orientalischen Ländern nicht üblich.
09.05. Sonntag 26. Tag Mary – Buchara, Turkmenistan – Usbekistan
Aus dem Katalog: "Wir fahren von Mary nach Norden durch die turkmenische Tiefebene. Dabei passieren wir das streng geschützte Wüstenreservat Repetek. Aufgrund seiner Bedeutung für die Erforschung und den Erhalt einer einzigartigen Flora und Fauna hat das Schutzgebiet seit 1979 den Status eines internationalen Biosphärenreservates. Wir überqueren den Amudarya, den die alten Griechen den Oxus nannten und passieren bei Farab die Grenze zu Usbekistan. Nach dem Passieren der Grenze sind noch rund 90 km zu fahren bis nach Buchara. Abendessen und Übernachtung in Buchara."
Hübsche Blümchen und Sträucher gibt es in diesem Wüstenreservat. Ein beeindruckendes Erlebnis jedoch: die Überquerung des Amu Darya. Es gibt nur eine Pontonbrücke, für die der Bus im Grunde zu schwer ist. Wir mussten also aussteigen und drüber laufen. Drei Kilometer!! Ein mächtiger Strom - der Rhein bei Karlsruhe ist dagegen ein Wässerchen. Die Strömung ist ungeheuer, wenn man da in der Mitte hineinfiele, würde man im Nu mehrere Kilometer stromabwärts geschwemmt, und es wäre fraglich, ob man überhaupt an ein Ufer schwimmen könnte. Elena hat uns pflichtschuldigst darauf aufmerksam gemacht, dass es verboten ist, Flüsse und Brücken zu fotografieren, aber das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.
Außerdem habe ich mich verwundert gefragt, wieso dieser Strom nicht genug Wasser hat, um in den doch nicht mehr so weit entfernten Aral-See zu münden, sondern irgendwo davor zu versickern. Die Aufklärung kam durch Mussa: Zurzeit schmelzen der Schnee und das Eis der Gletscher des Pamir, sodass der Fluss Hochwasser hat. Er ist jetzt etwa 4 m hoch. Im Hochsommer, wenn diese Wasserzufuhr nicht mehr kommt, ist er so flach, dass man hindurchwaten kann, das Wasser geht einem dann nur bis zur Hüfte.
Wir müssen uns also klarmachen: eigentlich ist diese ganze Gegend – Turkmenistan und Usbekistan – Wüste. So saftig grün ist sie nur durch diese künstliche Bewässerung und auf Kosten des Aral-Sees. Wie lange noch?
Barbara Volhard