Inge Stagneth: Zurück durch China
Der nächste Tag bringt uns nach Xian. Es ist fast wie heimkommen. Das Hotelpersonal kennt uns auch noch. Wir sind bei Tag angekommen und Verena und ich bummeln durch den Bazar. Und hier sehe ich das Bild wieder, welches mir schon auf der Hinreise aufgefallen war. Dieses Mal nehme ich es zu einem kleinen Preis mit. Mittlerweile ist es dunkel geworden, die Lichter über den Bazar Ständen beleuchten die Waren. Ein guter Duft erinnert uns, dass wir hungrig sind und so sitzen wir in der Menge draußen und essen. Wir sind entspannt und froh. Zum Abschied betrachten wir die geliebten Drachen, die in großer Höhe im Licht schweben und stellen uns vor, wie es wäre, wenn wir mitfliegen könnten. Aber wir haben ja unseren roten, großen, geliebten Bus mit den glänzenden Felgen. Was brauchen wir noch Fliegen, ist das Fahren mit dem Bus so umweltfreundlich, bequem und unterhaltsam. Der Verbrauch auf 100 km beträgt im Schnitt 30,5 Liter, bestes Ergebnis: 17,5 Liter auf 250 Kilometer.
Vor dem Losfahren fotografiert Wolfram den Pandabären mit dem Manager des Hotels bis zum Lift Boy. Unterwegs dann Fotos mit Pandabär und Straßenkehrer, mit den Angestellten der Autobahnraststätte, einem Polizisten, die Dame im Tollhäuschen, LKW Fahrer und uns. Auf unserem Weg nach Lanzhou essen wir heute eine Nudelsuppe im Bus, denn die Strecke ist enorm, die wir zu bewältigen haben. Außerdem wissen wir, dass wir am Abend im Hotel-Buffet essen werden. Im Bus ist es angenehm frisch und so spüren wir die Hitze nur, wenn wir kleine Pausen machen. Wir fahren weiter und auf Verenas Wunsch halten wir an der Rasthütte vom Hinweg, dort wo sie mit dem kleinen Mädchen so innig spielte. Sie möchte ihr ein Geschenk bringen. Hans-Peter hält genau vor der Bude und Heidy nimmt einen kleinen, rosaroten Teddybären mit, um diesen der Kleinen zu geben. Welch eine Freude beim kleinen Mädchen und Verena, als die beiden sich sehen! Die drei Bleistifte von Verena und der Teddybär lassen das Gesichtchen des Mädchens strahlen. Das Hotel finden unsere Fahrer sofort und ohne Schwierigkeiten.
6.00 Uhr Abfahrt. Tausend Kilometer stehen heute auf dem Programm. Wir sind alle sieben gut drauf und los geht’s. Turfan ist unser Ziel. Die Wüste Gobi ist unsere Kulisse. Ich bin gespannt, wie wir durch den Punkt Sternenschlucht kommen. Die Straße ist nicht gut zu fahren, viele Löcher und starke Unebenheiten bremsen oft den Bus. Kontinuierlich geht es bergauf. Die Steine sind schwarz, aber auch braun/beige, dass man meinen könnte, lauter Leoparden würden als Riesen hier schlafen. Durchsichtiges Blau und weiße Kumulus Wolken säumen das Ganze von oben ein. Unser Mittagessen bereiten wir uns im Bus zu. Hans-Peter hat noch einen italienischen Käse, wir schneiden Karotten, Tomaten, Knoblauch, Wurst, Gurken und servieren es schön angerichtet auf den Bistrotischen im Bus. Gestärkt geht es weiter. Gegen Nachmittag verändert sich die Umgebung in eine Märchenlandschaft. Die Sonne strahlt in jede Falte der kargen Felsen und lässt alles in einem weichen Ton erscheinen. Wir sind immer noch unterwegs, als die Sonne sich neigt. Eine Lichterscheinung hoch oben auf einem Berg zeigt silberne Kuppeln und einen Palast. Es ist fantastisch. Die Sonne geht als leuchtender Ball unter. Und punktgenau hält Wolfram den Bus vor den Flammenbergen an und wir sehen tatsächlich die Berge in Flammen. Großartig. Als wir uns wieder dem Bus zuwenden ist das Licht verschwunden und die Nacht beginnt. Der Lohn für die lange Fahrt. Ich möchte es nicht missen. Turfan liegt im Dunkel und das Hotel ist auch nicht besser als vor drei Wochen.
Heute kein Bus! Ruhetag! Bazar, Bazar! Verena und ich schlendern durch den Stoffbazar und nach eingehender Beratung und Betreuung von Verena entschließe ich mich, einen türkisfarbenen Stoff zu kaufen, aus dem ich mir gleich einen Rock, der nach einer Stunde fertig ist, nähen lasse. Verena hat in der Zwischenzeit wieder Kontakt zu einem hübschen Mädchen aufgenommen. Es übt an der Nähmaschine der Mutter mit einem Pappdeckel das Nähen. Wir sitzen hier mitten unter den Näherinnen und den Kundinnen, die fachliche Gespräche führen. Es ist, obwohl wir nichts verstehen, eine wunderbare Atmosphäre mit viel Lachen und Reden. Es geht sicher um Frauenthemen. Wir baden sozusagen in der Menge. Im Hotel begrüßen uns Hans-Peter, Wolfram und Joe. Hans-Peter sagt, dass es Neuigkeiten gibt. Ich denke erst, Stefan sei Vater geworden, oder der Bus wäre defekt. Aber nein: Die kasachische Grenze ist am Montag und Dienstag geschlossen, weil die Regierung vor wenigen Tagen zwei Feiertage eingeführt hat. Das heißt, dass wir am Montag nicht über die chinesische Grenze kommen, sondern erst am Mittwoch. Dass Hans-Peter seinen Flieger nicht bekommt und dass unsere Fahrerlaubnis in China am Montag ausläuft. Uff!!!!
Wir werden an Sairam-See und in Korgas der Grenzstadt Zwischenübernachtungen einlegen. Hans-Peter wird mit uns morgen bis Urumqi fahren. Er wird den Bus bis zum Flughafen bringen und dort übernachten, um 4 Uhr früh dann nach Almaty fliegen, dann weiter nach Athen und Thessaloniki. Joe meistert alles meisterhaft. Wir haben Zimmer am Sairamsee und hoffentlich in Korgas. Aber wir essen erst einmal sehr gut und alles andere wird sich finden.
Hans-Peter begrüßt uns heute Morgen zum letzten Mal in Asien. Am Flughafen nehmen wir Abschied und werden uns in 14 Tagen in Katarini wieder sehen. Am Flughafen von Urumqi verabschieden wir uns von Hans-Peter, nicht ohne vorher einen guten Kaffee getrunken und ein Black Forest Cake gegessen zu haben. Die Fahrt ist lang und doch genießen wir wieder die Landschaft vom Bus aus. Hohe Schneeberge begrüßen uns wieder. Wind kommt auf und schaukelt den Bus. Ein Regenguss mit Blitz und Donner geht nieder. Doch es hellt sich wieder auf.
Inge Stagneth
Wolfram Goslich: Die Reise nach Westen
Es regnet in Shanghai – so viel, dass es kaum Sinn macht, noch ein Busfoto mit Skyline am Bund zu machen. Das Objektiv beschlägt, sowie ich aus dem Bus gehe, alles ist feucht, wir machen trotzdem ein Foto im strömenden Regen vor der Bank of China mit seiner klitschnassen roten Fahne auf dem Dach. Zwei Ampeln weiter, am alten Leuchtturm, biegen wir rechts in die Henan Road ein und dann direkt vom Huan-Po-Fluss auf den Suzhou Expressway - ja die Chinesen lieben amerikanische Bezeichnungen - und wühlen uns durch den morgendlichen Stau aus der Stadt raus, Richtung Westen und das bleibt für die nächsten vier Wochen unsere Fahrtrichtung. Nach Westen zurück nach Europa wieder quer durch Asien. Durch subtropisches, knalliggrünes Ackerland mit seiner fast roten Erde, über riesige Flüsse, den Yangzi, den Gelben Fluss und den Euphrat. Durch brüllend heiße Wüsten, Grasland, Steppe, Hochgebirge und liebliche Flusstäler, alles dabei. Und wieder auf superbequemen Autobahnen, aber auch auf Straßen, die nicht einmal den Namen verdienen. Los geht’s!
G 40, G 30, G312 – unsere Koordinaten seit Tagen. China im Zeitraffer auf dem Weg nach Westen. Jeden Tag legen wir im roten Bus zwischen 400 und bis zu 1,000 Kilometer zurück. Durch das dicht besiedelte, leuchtend grüne, nur zwischen Regen - und Nebelschleiern erkennbare Ostchina hinein in die wild zerklüfteten Lößberge zwischen Xi’an und Lanzhou, über den Yangzi, so breit wie ein ganzes Delta, über den Gelben Fluss, dessen Fluten wirklich ockergelb unter der riesigen Autobahnbrücke in Lanzhou gurgeln.
Ostchina säuft heute Morgen regelrecht im Regen ab. Die Felder stehen unter Wasser, Wege sind Schlammpfade und wir überqueren zahllose kleine Bäche, Flüsse und den berühmten Kaiserkanal. Darauf jede Menge Schubschiffe, Lastkähne und Küstenmotorschiffe unterwegs- dicht an dicht. Wir durchqueren Anhui, eine der ärmsten, der vergessenen Provinzen Chinas, gar nicht weit weg von Shanghai, aber hier im toten Winkel scheint vom neuen chinesischen Reichtum nicht viel angekommen zu sein. Die Bilder, die wir sehen, scheinen eher 80 Jahre alten Postkartenserien zu entstammen – Bauern mit Wasserbüffeln im Reisfeld, beim mühseligen Bearbeiten der Reisfelder, alles von Hand! Hier wächst Tee, die Sträucher reichen als dichte Büsche bis direkt an die Autobahn.
Die Wärme bleibt, das Grün geht, es wird trocken, wir kommen wieder in die Wüste nach nur vier Tagen, die wir vom Ostchinesischen Meer weggefahren sind. Es geht so wahnsinnig schnell, zunehmend Moscheen, weniger Besiedelung, wieder Lehmhütten mit Flachdächern, dann rauf ins Gebirge auf knapp 2.900 Meter, kühl aber angenehm. Rechts von uns im strahlenden Mittagslicht, ein Lehmbau, länglich, wie eine Ruine und ganz schnell wird klar, wir sind wieder am Westende der chinesischen Mauer, die hier nur in Bruchstücken noch sichtbar ist. Wir stoppen genau dort, wo die Straße die Mauer durchschneidet. Eindrucksvoll!
Und dann fällt schlagartig das Thermometer – in 30 Minuten von 31° C auf etwas über 20° C. Der Wind nimmt zu, es beginnt zu regnen, heute Morgen regnet es sogar noch, und das Thermometer zeigt noch 14° C,mitten im Sommer, mitten in der Wüste irgendwo in Zentralasien! Jetzt, auf dem Rückweg, kommt es mir vor, als wären wir schon ganz weit im Westen, dabei sind wir erst am Anfang der Wüste und haben noch rund 2.000 Kilometer bis zur kasachischen Grenze vor uns. Wir durchqueren einen Wald von weißen Windmühlen, die umweltverträglichen Strom liefern sollen, wir liefern umweltverträgliche Bestnoten: 17,8 Liter Dieselverbrauch auf 100 Kilometer, der Bus wiegt 16 Tonnen und bietet Platz für 38 Personen, noch Fragen?
Wieder sind jede Menge LKWs unterwegs nach Westen – nach Xinjiang (was eigentlich so viel wie Grenzland heißt), beladen mit Rotoren für Windräder, ganze Windparks entstehen hier. An der Straße stehen flache Armeezelte und oft sogar nur mit Plastikplanen gebaute Verschläge für die Wanderarbeiter, die Straßen und Windräder bauen. Ein Bettgestell, eine Matratze, Wind - und Regenschutz, Leine zum Trocknen, zwei Meter von der Straße, manchmal sogar Frischwasser von der Baustelle direkt nebenan, Klo im Straßengraben. Alles ist Provisorium, deren Leben vielleicht auch oder nicht?
Eine Frau packt im Windschatten einer kleinen Mauer ihre Sachen zusammen, es ist 8 Uhr morgens, sicher hat sie hier neben dem Straßengraben übernachtet, es ist regnerisch, was stecken da bloß für Geschichten dahinter?
Durch die schwarze Gobi geht es nur noch zweispurig, LKWs müssen überholt werden, manchmal auch ein bisschen abgedrängt, um rechtzeitig einscheren zu können. Ein seltsamer Zauber liegt über der Landschaft. Grauschwarze Hügel soweit das Auge reicht, tief hängende Wolken, kurze Schauer, ab und zu Rauchfahnen, die aus Zelten irgendwo an der Straße aufsteigen, ein Mann ist mit dem Lastenfahrrad unterwegs, sammelt leere Plastikflaschen, uns kommt ein Sattelschlepper entgegen, die rechte Seite des Führerhauses völlig eingedrückt, die Bugschürze hängt schief über der Straße, aber er fährt.
Ein andere Sattelschlepper fährt nicht mehr, keine 50 Meter von der Piste entfernt, hat sich festgefahren, steckt bis zu den Radnaben im Sand und er ist nicht der einzige…
Der Plüsch-Panda-Bär – schon von Anfang an mit Stammplatz im Bus auf der Espressomaschine dabei - wird von mir entdeckt, als kleiner Icebreaker und Kommunikationsbär. Ich will den Plüschbären auf einer Raststätte fotografieren, finde keinen vernünftigen Platz für den Kleinen und schließlich drücke ich einem etwas scheu dreinschauenden Autobahnpolizisten den Bär in die Hand, der posiert schüchtern, aber er posiert und - er lächelt. Ab jetzt geht der Bär durch viele Hände, es macht ungeheuren Spaß – der hört bei Zöllnern sicher wieder auf, aber was sind schon Zöllner, will man die wirklich fotografieren?
Autobahn wieder super, wir zahlen meist mit Chipkarte, „Fahren Sie sicher und entspannt“, so die Verabschiedung an jeder Mautstelle. Gezahlt wird nach Anzahl der Plätze, das wird zuweilen kontrolliert, wir geben immer 38 an, die einzige Zahl, die ich seit Wochen akzentfrei chinesisch aussprechen kann.
Immer wieder faszinierend, wie viele Menschen sichtbar unterwegs sind. Ich frage mich ständig: woher, wohin? Ein alter Mann trottet gemächlich im Baustellenbereich die Autobahn entlang, Straßenfeger auf der Autobahn müssten eigentlich alle schon Bekanntschaft mit Außenspiegeln gemacht haben - so nah wie sie an der Fahrbahn arbeiten.
Auf der Autobahn, Verkehr einspurig, alles rollt mit etwa 70 km/h dahin. Es ist relativ breit, nicht ganz so eng wie bei uns wenn der Verkehr über nur eine Fahrbahn mit Gegenverkehr läuft, aber immerhin soviel Platz, dass bei mir im rechten Außenspiegel auf einmal in Höhe der Hinterachse ein Honda Kombi auftaucht. Abdrängeln geht nicht mehr, also sauber geradeaus ohne in den Gegenverkehr zu fahren, damit der rechts vorbeikommt, sonst fährt er mir noch in die Mitteltür. Fünf Sekunden realer Wahnsinn auf der G 30 zwischen Xi’an und Lanzhou.
Reifenwechsel und gekippte LKW-Kabinen mitten auf der Fahrbahn - völlig normal, ein im Tunnel abgestellter LKW, mit ein paar Steinen und Hütchen gekennzeichnet, selbstverständlich unbeleuchtet, völlig normal. Rechts überholen ist selbstverständlich geworden, wozu hupen, versteht keiner, also rechts vorbei, stört niemanden, auch nicht die Polizei, die überholen selbst auf der rechten Spur und wenn sie links überholen, stört sie die durchgezogene Linie auch nicht. Da mutet es schon grotesk an, wenn Polizisten Lastenräder und Motorradrikschas anhalten und auf Verkehrssicherheit prüfen, selbst eine Runde drehen, um zu sehen, ob alles funktioniert. Das spielt sich alles vor unseren Augen ab – wir müssen mit dem Bus in die entgegengesetzte Richtung. Bis zur nächsten Ampel fahren kostet Zeit, also eine 180-Grad-Wende über eine durchgezogene Linie(!), nicht nur unter den Augen der Polizei, sondern mit deren Hilfe. Der Verkehr wird angehalten, damit wir wenden können.
Alle, die auf den Feldern arbeiten, sind mit Rädern unterwegs, mit Handkarren und mit Spaten und Gabeln über der Schulter, es sind wirklich kaum mal Trecker zu sehen. Schon lange durchschneiden Autobahnen chinesische Landschaften und dennoch bleibt so vieles sichtbar, was das Leben der Menschen an den Straßen trägt.
Es klart auf. Wir fahren in die Abendsonne, die kahlen Wüstenberge bekommen ganz scharfe Konturen, dramatische Wolkenbilder, zwischendurch Kontrollen, ein Polizist weist uns an, wir sollen rechts ranfahren, wir lächeln den Polizisten freundlich an, sagen auf Chinesisch die Worte Deutschland und Freiburg. Er schaut etwas ungläubig. Wir fahren wieder an, lassen ihn stehen. Kurzer Kontrollblick in den Außenspiegel, er bleibt ruhig. Wir wenden uns wieder unseren Gesprächen zu und fahren weiter.
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Wolfram Goslich : Shanghai
Shanghai: was für eine abgefahrene Stadt – in ihrem Namen steckt schon ein bisschen Verheißung. Heiß ist es, eher schwül, jede Bewegung löst Schwitzen aus. Aber ich gewöhne mich daran, die Stadt ist so quirlig, faszinierend, gegensätzlich, eben Hafenstadt, da bleibt keine Zeit, zu überlegen, ob ich mich bewege oder nicht, die Stadt nimmt mich einfach mit.
Dabei ist die Skyline bei aller Faszination zunächst eher abschreckend, zwischen den Häuserschluchten wirklich kalt. Zu Fuß, mit der Motorrad Rikscha oder mit dem Taxi sieht man eigentlich am meisten und lernt die Facetten der Stadt zwischen HuangPo, Yangzi und dem Pazifik kennen. Und es sind immer wieder die Menschen, die faszinieren.
Zwischen Bambusgerüsten winkt mir ein Mann zu, als ich es fotografiere, am Sonntagmorgen im Nieselregen stehen auf dem Bund, der Flaniermeile am Fluss, ältere Männer und lassen bunte Drachen steigen, hundert Meter entfernt bewegen sich ältere Damen und Herren zu Tai-Chi-Klängen. Eine Straßenreinigerin kauert am Rand und hält ein Nickerchen, zwei Köche des Fairmont-Peace-Hotels zeigen mir stolz ihre Uniformen, eine junge Partygängerin schlendert verschlafen mit zwei Teigtaschen und einem Maisdrink „to go“ nach Hause, vor einem Hotel warten vier Taxifahrer auf Kunden und zocken derweil, Kartenspiel auf dem Kofferraum eines VW Santana und - es geht um Kohle! Natürlich hat einer der Fahrer auch nagelneue „Rolex“ im Angebot. Der Motorradrikschafahrer kurvt mit mir durch die Stadt, die 15-Minuten-Tour durch den dicken Verkehr würde bei uns reichen, ihn für Jahre zum Fußgänger zu machen, da alle so fahren, kracht es selten. Wenn es kracht, dann allerdings oft mit dramatischen Folgen, davon zeugen die an Autobahnraststätten aufgestellten Warntafeln mit Unfallfotos.
Ich will mit der U-Bahn fahren. Eigentlich ganz einfach. Habe die Station bequem gefunden, der erste Eingang ist halb geschlossen, jedenfalls ist ein Eisengitter bis zur Hälfte runtergelassen, also lieber nicht. Nächster Eingang, Rolltreppe; funktioniert zwar nicht, aber ich komme ins Untergeschoss. Dort Ladenpassagen, dröhnende Boxen, endlose Ladenreihen, von U-Bahn keine Spur. Fragen zwecklos, werde natürlich nicht verstanden, gebe irgendwann auf, es dauert mir zu lange, nehme eine Motorrad-Rikscha, Preis verhandeln, dann losfahren.
Bund 18, schicke Adresse, mit dem durchgestylten Fahrstuhl und seinen roten Reliefplatten aus Acryl an der Stirnwand hinauf in den 7. Stock. Dort erwartet uns eine Riesendachterrasse mit Lounge und Blick über die Glitzercity, unten auf dem HuangPo fahren die Partyschiffe, grell beleuchtet, alle paar Sekunden wechseln die Farben auf der Außenwand des Schiffes - wie bunte Bonbons, Smarties schwimmen die Dampfer vor der Skyline von Pudong im Dunst.
Was macht dieses Shanghai so faszinierend? Ist es seine Geschichte, koloniale Konzessionen, französisches, englisches Flair? Die Skyline, auf der die meisten Häuser im Nebel verschwinden, weil sie 300, 400, über 500 Meter hoch sind?
Sind es die unzähligen Leitungen, die kreuz und quer über den Straßen hängen und das ganze Chaos optisch noch deutlicher werden lassen? Die riesigen Frachter, die sich neben unzähligen Kohleschuten vor die Skyline schieben oder die grell beleuchteten Partyschiffe, die abends den Blick vom Bund auf das Wasser noch irrealer erscheinen lassen?
Wahrscheinlich alles zusammen.
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