Inge Stagneth: Shanghai und neue Reise
Unser Ziel rückt näher. Shanghai wir kommen! In Nanjing steht das alte China auf dem Programm. Bei schwülem Wetter treiben uns die vielen Stufen zum Grab von Sun Yak Sen den Schweiß aus allen Poren. Ein herrlicher Blick und ein kleiner kühler Wind entschädigen uns für die Mühe. Gott sei Dank ist heute nicht Wochenende und die Chinesen sind etwas weniger als sonst, trotzdem strömen sie für unsere Begriffe in Massen.
Es ist für uns sehr schwierig, dass die Chinesen kaum Distanz halten. Sie stehen unvermittelt ganz nah vor oder neben einem, schauen mit Interesse z.B. beim Bezahlen zu oder schauen gebannt auf den Mund, wenn man spricht. An einer Geldwechselstelle wollen Heidi und ich Euro tauschen, als wir plötzlich von Männern umringt sind, die nicht verpassen wollen, was sich hier tut. Sie stoßen sich gegenseitig, um einen Blick auf das Tun und Treiben der Ausländerinnen zu ergattern. Der Geldumtausch hat im Übrigen nicht geklappt, weil der Computer ausgefallen ist und die Dame nicht - auch nicht mit telefonischer Hilfe - in der Lage war, den Betrag umzurechnen. Vielleicht, mutmaßen wir, ist diese Wechselstube genauso eine Attrappe, wie manche Polizeihäuschen auf der Autobahn. Diese wurden errichtet, um die Chinesen zum langsameren Fahren zu erziehen und von riskanten Überholmanövern abzubringen, was jedoch wenig Erfolge brachte. An der Wechselstube verlangen wir nach 10 Minuten entnervt unsere Euros zurück. Der Dame tut offensichtlich leid, dass sie uns nicht bedienen konnte.
Die Chinesen sind Weltmeister im Weg-, Ab- und Vordrängen, egal ob an der Haltestelle, im Bus oder an der Kasse. Das irritiert und ist unangenehm. Oft werden auch die Ellenbogen eingesetzt und auch die Körperkraft wird benutzt. Aber es stört die Chinesen nicht, wenn diese Methoden von uns auch angewendet werden. Nicht zu drängeln bedeutet, dass man dann den Kürzeren zieht und lange warten muss, denn es gibt dauernd Nachschub.
Wieder fahren wir an einer Millionenstadt mit Hochhäusern vorbei, die alle gleich aussehen und im Dutzend auftreten. Das ergibt Häuserschluchten in riesigen Ausmaßen, die mich bedrücken, wenn ich daran denke, dass hier Menschen wohnen. Die Bautätigkeit ist im ganzen Land gigantisch, sei es, dass das Eisenbahnnetz oder die Autobahnen ausgebaut werden. Ganze Viertel werden dem Erdboden gleichgemacht, um neue Hochhäuser hochzuziehen. Auf den Abrissgrundstücken wohnen, dort wo keine Einzäunung steht, Menschen. Sie haben sich sogar einen winzig kleinen Garten angelegt.
Foto Stopp bei einem Reisfeld, um es einmal nicht nur aus dem Bus zu fotografieren. Viele herrliche Felder, kleine abwechselnd mit größeren Seen, Lotosfelder, saubere Häuschen mit roten Dächern oder Häuser, die wie Villen aussehen, wie eine Parklandschaft zieht alles am Busfenster vorbei. China, wie ich es mir vorgestellt habe. Bauern, die im Wasser den Reis verziehen, die mit dem Wasserbüffel vor dem Pflug das nasse Feld umpflügen. Oft steht ein Mann mit weißem Hemd neben seinem Büffel, Gänse, die an den Ufern Futter suchen. Viele kleinere weiße Vögel, die in den Feldern ihr Auskommen haben. Männer und Frauen mit ihren typischen, großen, flachen, spitzen Hüten beim Arbeiten. Das Delta des Yangzi ist fruchtbar. Ein Straßenschild zeigt an, dass es noch 1 km bis Shanghai ist. Aber nein, es sagt lediglich, dass die nächste Ausfahrt in einem Kilometer erfolgt. Aber das Schild ist so gut, dass wir es fotografieren müssen. Und dann, da sind wir, Stadtgrenze. Wir fahren auf einer Hochstraße, die uns einige der schönen Wolkenkratzer zeigt, auf den Bund. Ein erhebendes Gefühl hier auf dieser Straße zu fahren. Am Hotel, nach dem Aussteigen, gebe ich einen Sekt aus. Manche von uns haben Tränen den Augen. Fotos, Fotos, wir sind glücklich und genießen den Moment. Hier pulsiert das Leben. Das Hotel liegt fußläufig zum Bund.
Leider verhüllt Nebel die Skyline von Pudong. Die Regenzeit hat schon begonnen und wir stellen das Programm um. Besichtigen einen typischen, chinesischen Garten, der hauptsächlich aus Häusern besteht und mehr täuscht, als er wirklich ist. Es regnet. Doch hört es auf, als wir auf die Brücke des Yangzi fahren. Die Straße zu der Brücke ist so angelegt wie die Spielzeugautobahn. In großen Schleifen geht es nach oben, immer mit Blick auf die vielen neuen Hochhäuser. Beim Durchlaufen der Altstadt können wir uns ein kleines Bild vom ehemaligen Shanghai machen. Niedrige Häuser, Läden und viele Menschen prägen das Bild. Hier ist es nicht mehr so mondän aber menschlicher. Wir sehen das Expo-Gelände und das für mich schönste Hochhaus, das Hyatt. Mit der U-Bahn fahren wir in den Stadtteil, in welchem das deutsche Konsulat steht. Ein Stadtteil mit viel Grün und ohne Hochhäuser. Der Konsul heißt uns herzlich willkommen in Shanghai und ist beeindruckt, dass wir den weiten Weg mit dem Bus gekommen sind. Auf dem Rückweg in die Stadt halten wir am Bund und spazieren in der Menge der Menschen entlang des Flusses, genießen die Aussicht auf Pudong und auf die Kolonialhäuser am Bund.
Am nächsten Tag heißt es früh aufstehen, denn wir wollen zur Expo und am Eingang gibt es lange Wartezeiten, wenn man spät kommt. Wir sind recht schnell durch die Sperren, doch schon hunderte von Menschen, es werden heute 450.000 Besucher kommen, eine Tafel kündet davon. Eine große Überraschung erwartet mich, denn auf dem Freiburger Stand lacht mir Gian von einer Bildergalerie entgegen, die viele Freiburger Bürger zeigt. Der deutsche Pavillon ist interessant und gut gemacht aber es sind so viele Menschen da, dass der Spaß sich in Grenzen hält. Für die meisten Pavillons gilt eine Wartezeit von 5 bis 9 Stunden.
Den Abschiedsabend verbringen wir in einem netten chinesischen Lokal. Viele Dankesreden, Fotos und wieder manch wehmütige Träne. Wir waren eine gute Truppe von Mädels und Jungs - so begrüßte uns Hans-Peter jeden Morgen: „Guten Morgen Mädels und Jungs“. Wir freuen uns schon auf unser Nachtreffen, Bilder und Erzählungen. Ich kann es nicht fassen, dass die Reise schon vorbei ist. Erst muss sich noch einiges festigen und ich muss es nacharbeiten, doch beim Erzählen zu Hause wird noch einiges klarer werden.
Die Rückreise
Die neue Reise beginnt mit einem Ruhetag in Shanghai. Der Morgen ist verregnet, doch am Nachmittag unternehme ich mit Verena (wir beide fahren wieder mit dem Bus zurück nach Freiburg) einen Spaziergang. Den Nachmittag verbringen wir auf dem Stoffmarkt. Verena kauft Stoff für ein Kleid und Leni, unser Grafiker, erstellt eine Zeichnung von dem Kleid, welches Verena so gut gefällt. Verena führt uns am Abend auf die Terrasse eines Hochhauses und bei einem Gin Tonic genießen wir den Blick auf das beleuchtete Shanghai. Ein herrlicher Moment!
Am nächsten Tag verlassen wir Shanghai um 7.30 Uhr. Heidy ist zu uns gestoßen, denn sie will nur die Rückfahrt mitmachen. Ich glaube, dass wir gut zueinander passen. So sind wir sieben Leute, die mit dem riesigen Bus unterwegs sind. Nun heißt es: Let‘s go West. Wir fahren durch das Wasserland. Wieder eine Landschaft wie die Malerei eines chinesischen Künstlers. Und als die bewaldeten Hügel dazukommen, kleine Schluchten. Ich nicke etwas ein und erwache in einer anderen Landschaft: Berge, keine Reisfelder, Weizen zum Teil schon abgeerntet, auf den Feldern. 700 km sind wir bis Xin Yan gefahren und suchen ein Hotel. Eine chinesische Stadt, ohne Touristen. Wir sind eine Attraktion. Der Verkehr ist dicht und alle Teilnehmer schleichen aneinander vorbei. Riesige Melonenwagen werden angepriesen. Es wuselt von Menschen, Fahrrädern, Autos, Bussen. Nach mehrmaligem Fragen unseres chinesischen Reiseleiters finden wir das erste Haus am Platz. Sehr freundlich werden wir in Empfang genommen, In der nächtlichen Stadt suchen wir ein Lokal, sehen Szenen wie aus einem alten Film: Ein dicker Chinese, mit einem nackten Kugelbauch, steht vor seiner Garküche und fuchtelt mit einem großen Messer in der Luft. Familien sitzen auf dem Boden und essen, andere schlafen im Liegestuhl. Laute Musik dröhnt von irgendwoher. Auf einem großen Platz tanzen Paare. Es ist heiß. Der eine schickt uns nach rechts, der andere nach links. Aber unser Führer findet den Weg. Wir essen bei einem Koreaner. In der dunklen Stadt finden wir den Weg zurück.