Grenzen…
Die Fahrt zur kasachisch-chinesischen Grenze am Pfingstmontag beginnt um 6.30 h, bei 14 Grad Außentemperatur rollen wir unter einem frühsommerlich blaustrahlenden Morgenhimmel nach Osten. Es ist so klar, dass links wie rechts die schneebedeckten drei- bis fünftausend Meter hohen Gebirge nicht nur zu erahnen sind, sondern überdeutlich am Horizont über der kasachischen Ebene schweben. Nach einer dreiviertel Stunde ist Schluss, am ersten Vorposten der Grenze stehen bereits zwei chinesische Busse und warten. Kleinbusse fahren vor, werden auf einem Seitenstreifen an uns vorbeigeleitet. Wir aber warten, mittlerweile sind weitere große Busse bei uns eingetroffen. Nach einer Stunde kommt Bewegung auf, ein kasachischer Zöllner kontrolliert alle Pässe, wir passieren eine Schranke, bilden nach knapp fünf Kilometern Fahrt erneut einen Omnibuskonvoi. Weitere Passkontrolle, neuer Schlagbaum und wir stehen vor dem eigentlichen Zollhof. Alle Fahrgäste steigen aus, Wolfram und ich steuern den Bus in die Halle, in der die Fahrzeuge untersucht werden. Ein blau Uniformierter schüttelt uns die Hand, füllte einen Zettel aus und ruft einen grün Gekleideten mit hoher Mütze herbei, der uns zum ersten Büro führt. Keine fünf Minuten später haben wir den ersten Stempel, nach einer Viertelstunde im nächsten Büro den zweiten, dann den dritten... In eineinhalb Stunden sind alle sechs Stempel auf unserem Papier, nach einer kurzen Kofferraumkontrolle und einem Kaffee mit den Zöllnern aus unserer Espressomaschine rollen wir aus der Halle, beklatscht von unseren wartenden Mitreisenden Richtung chinesischem Schlagbaum. Mein Angstgegner kasachischer Zoll, der uns vor zwei Jahren sechs Stunden lang in brütender Julihitze schmoren ließ und nicht ausreisen lassen wollte, hat sich als freundlichste Abfertigung der letzten Wochen erwiesen.
Dieses Mal sind es die Chinesen, die nicht wollen. Sie lassen den Bus nicht durch! Die Passagiere werden abgefertigt, warten auf der Ausreiseseite des Zollgebäudes, aber der Bus bleibt bei der Einreise stehen. Ich darf nicht fahren. Stunden um Stunden vergehen. Ein Fax aus Urumqi, der Hauptstadt der westlichen, autonomen Provinz Xinjang, das die korrekte Anmeldung unseres Fahrzeugs beim chinesischen Zoll bestätigen soll, trifft nicht ein. Es ist auch nicht gegen halb sieben am Abend da und die Grenze schließt um sieben. Längst haben wir mit der Umsetzung von Plan B begonnen. Während unsere Gruppe im Grenzort zu Abend isst, trifft ein chinesischer Bus ein, der uns nach Yining bringen soll, wo wir unser Hotel haben. Ein optisch gefälliger Higer-Bus ist es, aber als wir losfahren, verstehen unsere Mitreisenden, welche Welten zwischen unserem und einem chinesischen Bus liegen! Unser roter SETRA bleibt im Zollgelände, wir sollen morgen wiederkommen.
Mit den beiden chinesischen Führern fahren wir - also Wolfram, der als zweiter Fahrer in China dabei ist und Toli, unser Mechaniker - am Dienstag mit dem Taxi die 80 Kilometer zum Zoll zurück. Und während unsere beiden Chinesen wieder verhandeln und telefonieren, bringen wir den Bus auf Hochglanz. Bis zur Mittagspause des Zolls tut sich sonst nichts. Dann kommt Che, einer der beiden chinesischen Begleiter und eröffnet uns, dass es vielleicht noch zwei Tage gehen könnte, und dass es immer noch am Hauptzollamt in Urumqi liegt, dass wir stehen bleiben müssen. Plan C tritt in Kraft: Die Gruppe wird von Yining aus mit einem chinesischen Bus an unser nächstes Ziel gefahren, den Sairam-See. Unsere Laune ist auf dem Tiefpunkt. Es kann noch zwei Tage gehen, bis wir hier herauskommen. Und dann ist immer noch der chinesische TÜV zu erledigen, ein neues Nummernschild zu machen und unsere chinesische Führerscheinprüfung abzulegen. Super!
Aber um 16.30 Uhr, wir drei haben es uns im Bus bequem gemacht und dösen vor uns hin, ruft es plötzlich: "Los, fahren, fahren, der Bus darf durch!" Welch eine Erleichterung! Der Bus geht durch! Nur noch die Formalitäten sind zu erledigen. Auf der neuen Autobahn donnern wir nun im roten Blitz nach Yining. Dort wartet ein Polizeifahrzeug, das uns zum TÜV bringen soll, zur Zulassungs- und Führerscheinbehörde. Hinter dem Polizeifahrzeug haben wir freie Fahrt, es gibt keine roten Ampeln mehr und auch keine Geschwindigkeitsbegrenzung innerorts, denn die Zeit drängt und die Ämter schließen bald. Wir schaffen den TÜV, wir brettern mit Karacho hinter der Polizei zum Landratsamt, wir bekommen unser chinesisches Nummernschild - aber den Führerschein schaffen wir heute nicht mehr. Schon für das Nummernschild haben die Beamten Überstunden gemacht, aber der Arzt, der unsere Fahrtauglichkeit untersuchen soll, ist längst zu Hause.
Und so gehen wir ins Hotel und entdecken vis-a-vis einen Platz mit vielen kleinen Garküchen, wo es duftet, brutzelt, schmort... Hammelfüße, Schafsköpfe, Innereien, Eintöpfe, Spieße, frisch gezogene Nudeln: Jetzt sind wir wirklich in China. Den Führerschein machen wir morgen. Und dann fahren wir der Gruppe hinterher zum See in den Bergen...
Hans-Peter Christoph