Inge Stagneth: Von Täbriz nach Samarkand
27. April Täbriz
Mit Reza bewundern wir die „Blaue Moschee“. An einer Stelle sehen wir ein Blau, als ob es aus dem Ozean kommt. Ich beneide zwei Iraninnen, die die Kunst beherrschen, in Speckstein kunstvolle Formen zu zeichnen. Diese werden mit Farbe ausgemalt und gebrannt. Beim anschließenden Besuch des Museums treffen wir auf Schulmädchen, die kaum fassen, was sie sehen. Wir fühlen uns im Blitzlichtgewitter wie Stars. Sie zeigen auf uns, kichern, fotografieren mit ihren Handys bis sie das Zutrauen fassen, uns anzusprechen. Selbst die Lehrerinnen sind nach anfänglicher Skepsis stolz, sich mit uns fotografieren zu lassen. Die Jungs die uns beim Hinausgehen begegnen, sind da zurückhaltender. Verstohlen schauen sie zu uns hin. Sie dürfen keine Frauen anschauen, aber lachen dürfen sie. Einer fasst sich ein Herz, er spricht Tibor an und der Freund macht mit seinem Handy ein Foto.
Den Nachmittag verbringe ich mit zwei Mitreisenden im Bazar. Es ist herrlich, durch die Gassen zu schlendern und die Gerüche, Farben und die Menschen aufzunehmen. Wir sind für die Iraner so exotisch angezogen, dass sie stehenbleiben, sich umdrehen und vor allem lachen. Für die Männer ist es unverständlich, dass wir allein ohne männliche Begleitung unterwegs sind. Wir prüfen des Öfteren, ob unser Kopftuch richtig sitzt.
Halbwüchsige Jungs laufen hinter uns her und unterhalten sich lautstark und prusten vor Lachen. Im Geschäft - wir möchten uns von den wunderbaren getrockneten Früchten kaufen - schaut uns der Verkäufer nicht an, da er das ja nicht darf. Ich versuche mit ihm in Kontakt zu kommen, aber es ist nicht möglich. Schließlich ruft er seinen Chef und dieser bedient uns mit ausgesuchter Höflichkeit. Ich kaufe mir eine lange Bluse, um dann festzustellen, dass diese mir viel zu groß und wahrscheinlich für die Iraner zu bunt ist. Aber wir sind sowieso „bunte Vögel“, also wenn ich den Mut aufbringe, werde ich die Klamotte mal anziehen. Todmüde kommen wir ins Hotel, nachdem ich zuvor Birgit immer wie ein Kleinkind fragte: Wie weit ist es denn noch? Haben sie vielleicht das Hotel versetzt? Doch es klappt. Das Hotel ist noch da und zunächst schlafe ich erst mal eine Stunde.
Nach dem Abendessen ist die Welt in Ordnung. Doch die Nacht ist nicht gut, denn durch die Tür Ritze zieht Zigarettenrauch vom Nebenzimmer in meines. Der Raucher oder die Raucherin ist die ganze Nacht sehr aktiv.
28. April Täbriz - Teheran
Der Himmel ist bewölkt aber es ist warm und so fahren wir frohgemut von dannen. Nach zwei Stunden Fahrt wird der Bus von der Polizei angehalten. Es fehlt wohl ein Papier oder ein Stempel, der es uns erlaubt, Täbriz zu verlassen. Hans-Peter wird angewiesen, dem Polizeiauto nachzufahren. So befinden wir uns auf der Rückfahrt nach Täbriz . Wir haben die Hoffnung, unterwegs den Stempel zu bekommen, denn immerhin liegt heute eine Strecke von ca. 700 km vor uns. Aber wir müssen die 2 Stunden bis Täbriz zurück.
Vor einem, wie wir denken, Gefängnis parkt unser Bus. Hans-Peter und Reza fahren mit dem Taxi in die Stadt und wir vergnügen uns derweil in einem kleinen Park mit Keksen und Wasser. Leni will erkunden, was es mit dem Gebäude wirklich auf sich hat ,aber zwei Wärter begleiten ihn nach draußen. Um 15 Uhr dann endlich kommen die beiden zurück. Reza hat Brot eingekauft etwas Käse und Wurst haben wir noch vom Picknick übrig. so geht es wieder los, mit der Auflage, dass wir an jeder Polizeistelle auf der Autobahn uns einen Stempel geben lassen müssen. Beruhigt können wir nun den Iran durchfahren. Was ein Glück, dass wir Reza haben, denn ohne persische Sprachkenntnisse wäre es sehr schwierig hier in so relativ kurzer Zeit klar zu kommen.
Das Wetter ist schlechter geworden, der Himmel ist schwarz, es blitzt und die Berge sehen dramatisch schön aus mit hellen Nebelwolken, die wie Wasser in die Täler fließen. Es regnet wie aus Kübeln und Schnee mischt sich in den Regen. Es ist, dunkel. Stefan muss beim Fahren sehr wachsam sein, denn die kleinen und großen Bodenwellen werden nicht angekündigt. Eine neue Mitfahrerin erwartet uns in Teheran und wir hoffen, dass sie nicht ungeduldig wird, wenn sie so lange auf uns warten muss.
Um 22.30 Uhr erreichen wir ohne weitere Probleme unser Hotel. Das Büfett ist noch nicht abgeräumt und wir können uns stärken. Das Zimmer ist sehr dunkel eingerichtet und im Bad ist es, na, solala. Ich schaue auf eine Straße, das Licht geht nicht richtig, aber wir gehen zum Essen. Doch ich bin viel zu müde - die Fahrt war sehr lang und so bin ich froh, bald im Bett zu liegen und mich zu fragen, worauf ich mich da eingelassen habe. Mein Bauch grummelt und ich habe Heimweh. Doch ich muss bald eingeschlafen sein, denn erst der Wecker weckt mich früh. Es geht mir wieder besser und auch das Heimweh ist fast weg.
29. April Teheran
Alle sind mehr oder weniger ausgeschlafen und mit Reza gehen wir los zum alten Stadttor und anschließend in das National-Museum. Hier werden wir erst einmal von Schülerinnen und deren Lehrerinnen in Beschlag genommen. Blitzlichtgewitter ergeht über sie und uns. Die Mädchen lachen und vergessen, warum sie im Museum sind. Im nächsten Saal sitzen junge Studentinnen und zeichnen. Hier ist die Lehrerin sehr streng. Birgit und ich essen am Rande des Bazars eine kleine Mahlzeit und stürzen uns dann in den Bazar.
Wir suchen die Moschee, die älteste von Teheran. Durch viele Windungen und Ecken und Fragen finden wir die Moschee. Stille. Ein großes Wasserbecken für die rituellen Waschungen spendet Kühlung. Zunächst beobachten wir nur, wohin die Frauen gehen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir hineindürfen. Eine Frau bedeutet uns, dass wir hineingehen können. So sitzen wir beide in dem kleinen abgetrennten Raum und lauschen dem Gebet des Imam. Die Männer antworten im Chor. Eine Frau stillt ihr Kind und ich bin tief berührt. Lange sitzen wir hier, bevor wir uns wieder in das Gewühl stürzen. Beim Verlassen der Moschee verlieren wir die Orientierung und laufen, laufen, laufen. Wir durchqueren einen großen Lagerraum, der in einem Innenhof endet. Die Tür, die auf die Straße geht, ist verschlossen. Also zurück. Ich male mir aus, wie wir hier im Bazar eingeschlossen werden und niemand in der Gruppe weiß, wo wir uns befinden,. Wie wir hier die Nacht zubringen… Aber wir finden den Weg, zumindest einmal zurück auf die Bazar-Straße. Hier lassen wir uns von dem Menschenstrom zu einem Ausgang treiben. Und wie vermutet, sind wir am anderen Ende herausgekommen. Jetzt laufen wir außen um den Bazar herum. Es regnet, aber tapfer laufen wir unsere Kilometer, die bestimmt die 10er Marke überschritten haben. An einer Bushaltestelle erklärt uns ein Busfahrer, der extra seinen Bus verlässt, den Weg zum Hotel. Den Abend verbringen wir gemeinsam mit der Gruppe in einem wunderschönen iranischen Restaurant. In dem Gebäude war früher eine Badeanstalt. Es ist so zauberhaft umgebaut, dass ich mich fühle wie in Tausendundeinernacht. Das Essen ist wunderbar und ich genieße es, mit netten Leuten zusammen zu sitzen und mich verwöhnen zu lassen.
30. April Teheran - Isfahan
Wir fahren nach Süden .Die Landschaft ist öd, Wüste, aber dennoch schön. Die Berge, karg .Isfahan unsere Partnerstadt erwartet uns. Unterwegs Aufenthalt in Qom. Es ist Freitag und hunderte Pilger sind unterwegs. Der Bus parkt außerhalb der Stadt und wir warten mit den anderen Pilgern auf einen heimischen Bus, der allerdings nur für uns reserviert ist. Die Frauen steigen, so wie es die Sitte vorschreibt, hinten ein, die Männer vorne. Das Gedränge in Richtung Moschee wird immer größer.
Am Eingang zum Heiligtum erhalten wir den Tschador, mit dem ich nicht umzugehen kann. Es ist ein langes Stück Stoff, welches so um den Körper zu schlingen ist, dass nur das Gesicht freibleibt. Der Hals muss bedeckt sein. Gott sei Dank hilft mir Reza beim Anziehen. Aber wie den Tschador von innen festhalten, sodass die Hände nicht zu sehen zu sind? Schuhe auszuziehen mit nur zwei Händen? Vier Hände sollte ich schon haben. Wir sehen sehr lustig aus. Ein junger Iraner tritt Sigrid hinten auf den Tschador. Der Schleier öffnet sich und beide lachen. Schnell alles wieder zusammennehmen, und wir laufen weiter hinter Reza her. Die Zeit drängt, denn nach Beginn des Gebets müssen wir das Heiligtum verlassen haben.
Ein Iman empfängt uns. Er redet etwas über den Islam, wir machen einige Fotos und in Windeseile verlassen wir die Moschee. Die Absperrungen sind schon da, das Gebet beginnt. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie so viele Menschen, Hunderte, dem Gebot Mohammeds folgen. Am Nachmittag erreichen wir unser Hotel, die ehemalige Karawanserei, das Abbasi-Hotel.
Von meinem Zimmer bin ich enttäuscht auch Birgit möchte nicht in ihrem Zimmer bleiben, so nehmen wir Doppelzimmer und sind glücklich, denn es ist im alten Teil des Gebäudes und der Balkon liegt zum schönen parkähnlichen Innenhof. Vor dem Abendessen laufen wir zum großen Imam-Platz. Es ist überwältigend, auf diesem Platz zu stehen, der als Poloplatz gebaut wurde und heute mit Wasserbecken, Rasen und Blumen als Erholungsort dient. Eingerahmt wird er von kleinen einstöckigen Gebäuden die im Inneren einen wunderschönen Bazar beherbergen-Es ist Freitag, viele Familien sind beim Picknick, spielen und erzählen hier. Wir kommen mit einigen ins Gespräch. Viele Kinder sprechen englisch und werden von den Eltern aufgefordert, dies mit uns zu sprechen.
Nach dem Abendessen kann ich es kaum erwarten, zur Brücke zu gehen. Es ist warm, es geht ein leichter Wind. Auf der Brücke herrscht reger Betrieb, die Menschen genießen hier den schönen Abend. Wir setzen uns unten ans Wasser und trinken Tee, beobachten die Leute, bis uns ein heftiger Windstoß zurück ins Hotel treibt und Regen mit Gewitter ankündigt. Wir sind in der Wüste und es regnet.
1. Mai Isfahan
Der Himmel ist bedeckt. Nicht so gut zum Fotografieren. Die strahlende Sonne fehlt. Das hält uns nicht davon ab, diese herrliche Stadt zu erkunden. Wir besichtigen den Palast der 40 Säulen, wobei sich 20 davon im Wasser spiegeln. Lassen uns von Reza die Bilder erklären und wissen nun etwas mehr über die Kriegsführung der damaligen Zeit.
Auf dem Imam-Platz steigen wir die hohen Stufen zum Musikzimmer empor, um von dort den großen Überblick über den Platz und einen Teil der Stadt zu haben. Im Anschluss daran nimmt mich die Moschee in ihren Bann.
Für mich wird es Zeit, mit Reza und Monika zum Zahnarzt zu fahren. Meine Lippe ist immer noch ein wenig dick und die Fäden stören mich. Mein Kopf scheint in Ordnung zu sein, denn lachen kann ich noch immer. Ein sehr netter jüngerer Mann erwartet uns. Er schaut mir in den Mund und ist der Meinung, dass ich die fehlende Ecke meines Zahns zuhause reparieren lassen soll, da er nicht die passende Farbe hat. Er erzählt, dass er oft in der Schweiz ist und erst vor einigen Tagen wegen der Vulkanasche Zwangspause in Genf einlegen musste. Außerdem kennt er Freiburg, wo er schon des Öfteren von Basel aus war. Die Fäden zieht er mir und ich bin fertig. Monika bekommt ihren Zahn gezogen und kommt erst später mit Reza im Taxi ins Hotel.
Am Abend laufen wir natürlich wieder zur Brücke und ich finde doch tatsächlich das Restaurant, in welchem wir 2002 mit der Städtepartnerschaft waren. Das freut mich natürlich. Wir essen gut und sitzen nachher noch im Garten unseres Hotels und trinken Tee.
2. Mai Isfahan
Die Freitagsmoschee ist ein weiterer Höhepunkt in Isfahan. Die vielen Säulen, die Muster und die wunderbaren Kuppeln brauchen Zeit, betrachtet zu werden. Es ist wunderschön, diese Formen auf sich wirken zu lassen und ich lasse mich in Gedanken in die Zeit von Tausendundeinernacht entführen. Wir sind zu Fuß vom Hotel hierher gelaufen und haben unterwegs die riesige Baustelle betrachtet. Isfahan bekommt eine U-Bahn und eigentlich sollte sie längst fertig sein, aber es kann noch dauern. Es ist abenteuerlich, so nah an dieser recht tiefen Baustelle vorbeizugehen und ich muss sehr konzentriert gehen, um nicht abzurutschen.
Für heute sind die Besichtigungen zu Ende. Ich habe Herbert versprochen, mit ihm nach einem Armband für seine Freundin zu suchen. So schlendern wir durch den Goldbazar und das macht hungrig. Die Aktion ist erfolgreich, zwar kein Gold, aber wunderschöne kleine Halbedelsteine. Gabriele gesellt sich zu uns, ebenfalls müde und hungrig. In einer Teestube lassen wir es uns gutgehen. Beim weiteren Einkaufen treffen wir auf andere Mitreisende und zusammen erstehen wir Tischdecken oder andere Waren, die es bei uns nicht gibt. Wir schauen, handeln und kommen glücklich zum Hotel zurück. Den Abend bleibe ich im Hotel, sitze auf dem Balkon und betrachte das Treiben im Park.
3. Mai Isfahan - Wüste
Wir müssen das Hotel einen Tag früher verlassen, da die Regierung Besuch bekommt und wir - ganz wie die Kinder, die ihre Kinderzimmer räumen, wenn Gäste kommen - ziehen weiter. Aber bevor wir Isfahan verlassen, schauen wir uns noch die zwei schönsten Brücken an. Der Fluss hat sehr viel Wasser und ich kann es kaum glauben, in der Wüste zu sein. Wir rollen weiter.
Viele haben heute etwas Kopfweh, vielleicht auch deshalb, weil Isfahan auf 1.600 Metern liegt. Die Landschaft ist grandios. Wir bestaunen die vielen Farben und Formen der Felsen, von grün, rot, gelb und das Weiß des Salzes. Unser rollendes Wohnzimmer setzt sich als Foto-Star in Szene. Hans-Peter wendet den Bus und fährt an uns vorbei, sodass wir ihn voll im Bild haben.
Und dann unsere ersten Kamele! Eine Herde von Stuten mit ihren Jungen will die Straße überqueren. Fotostopp! Die Stars sind jetzt die Kamele und der Bus. Toli, unser Mechaniker an Bord, wagt sich mitten in die Herde hinein, um „seinen“ Bus zwischen dem Höcker eines Kamels unterzubringen. Jürgen, unser Fernsehreporter, ist wieder bei uns und hat alle Hände voll zu tun. Hans-Peter und Ina freuen sich, dass wir so glücklich sind. Die Bemerkung von Reza, dass die Kamele wie Haustiere gehalten werden, kann unsere Begeisterung nicht bremsen. Nach ausgiebiger Foto-Rast geht es weiter. Eine ehemalige Karawanserei ist heute unsere Herberge. Die Zimmer sind einfach, aber die Freundlichkeit der Wirte und der Familie macht alles wett. Für den Sonnenuntergang fahren wir ein Stück von der Oase weg und wir erleben die untergehende Sonne vom Bus aus, was uns nicht hindert, das Ereignis zu genießen. Wir fahren noch ein Stück und kommen zu einem riesigen Salzsee. Jürgen fährt mit in einem PKW, um die Weite des Sees zu erleben. Das Abendessen ist liebevoll und sehr schmackhaft zu bereitet und ich schlafe wie in Abrahams Schoß. Dank sei der Regierung, die uns diesen unerwarteten Tag bereitet hat.
4. Mai Wüste – Sharoud
Früh ist wieder Abfahrt. Die Reisebeschreibung von Hans-Peter über die Landschaft die uns heute erwartet, hat nicht übertrieben: Die Landschaft ist einmalig und großartig. Ich genieße den Blick aus dem Fenster und das leichte Schaukeln des Busses. Wir sehen Seen, die keine sind, meinen Häuser zu sehen - Fata Morgana! Der Himmel ist nicht wolkenlos, zum Glück, denn die Wolkenformationen lassen herrliche Welten erahnen.
5. Mai Sharoud - Mashhad
Die Landschaft ist weiterhin großartig. Der Reiseprospekt hat auch für heute nicht zu viel versprochen. Wir fahren und schauen. Und tatsächlich: Das Unterwegssein kann schon zur Sucht werden. Die Einfahrt nach Mashhad ist beeindruckend. Unser Hotel liegt nicht weit vom Heiligtum entfernt. Die Gruppe wird das Heiligtum nicht gemeinsam besuchen und so gehen wir zu viert los, nicht ohne vorher einen Tschador zu kaufen. Denn, wenn wir den Tschador an der Moschee ausleihen, können wir uns drinnen nicht frei bewegen, sondern bekommen, wenn wir Glück haben eine Führung. Der Verkäufer hilft mir beim Anlegen des Tschadors und wir kommen problemlos durch die Kontrolle. Hunderte haben das gleiche Ziel. Hier ist das Heiligtum der Schiiten.
Die Ausdehnung des Geländes nimmt uns zuerst gefangen. Wir durchlaufen einen riesigen Innenhof, der von den Moscheen und Medresen umrahmt ist. Es geht weiter in einen anderen Innenhof. Hier stehen wir vor dem Heiligtum. Die goldene Kuppel leuchtet. Der Schrein, verborgen durch eine durchbrochene Steinmauer, steht vor uns. Die Menschen berühren ergriffen die durchbrochene Mauer und beten.
Birgit und ich sind mittlerweile allein, die beiden anderen sind zurückgeblieben. Wir betreten eine Moschee, die ganz mit Silber ausgeschlagen ist. Die Enge ist drangvoll. Wir lassen uns schieben, aber so richtig wohl ist es uns nicht. Wir sind Fremde hier und Ungläubige. Riesige Leuchter hängen von der Decke, laut werden Gebete vorgetragen. Die Menge schiebt uns durch die Moschee und ich bin froh, als ich wieder an der frischen Luft bin. Es wird dunkler, da beginnt ein lautes Trommeln, das einmal stärker, einmal schwächer klingt, mit Fanfaren dazwischen. Ich merke, wie ich in einen Zustand der Erregung komme. Die Menschen klammern sich an das Heiligtum und Birgit wird von der Menge mitgerissen in das Innerste. Ich bin froh, als sie nach einiger Zeit wieder herauskommt. Die Lichter sind nun angegangen. Die Minarette strahlen und es ist wie im Märchen. Ich hätte den Ausgang nicht mehr gefunden. Aber Birgit läuft zielsicher darauf zu. Die Innenhöfe sind nun mit Gebetsteppichen ausgelegt und das Abendgebet beginnt. Wir verlassen das Gelände und langsam lässt auch die Erregung nach.
6. Mai Mashhad
Früh beginnt heute der Tag. Ich bin auf dem Dach des Hotels, um mit drei anderen den Sonnenaufgang zu erleben. Aber dicke, schwarze Wolken decken den Himmel zu. Die Beleuchtung des Heiligtums ist trotzdem schön zu sehen und sowie es hell wird, gehen die Lichter am Heiligtum aus. Monika ist schon dort, denn am Vorabend wurde sie weggeschickt. Wie Ameisen sehen die Menschen aus, dort in dem Innenhof, den wir von hier aus sehen können. Schnell laufen sie von einer Seite nach der anderen.
Nach dem Frühstück steht Besichtigung auf dem Programm. Das wohlverdiente Mittagessen nehmen wir über einem See mit Blick in die Berge wieder typisch persisch, also auf dem Boden, ein. Das Fleisch wird direkt vor uns gegrillt. Gut erholt geht es weiter.
Der Nachmittag ist frei und nach dem Bazar-Besuch kaufen wir Ina einen Tschador, zunächst ist es sehr schwierig, denn er will bei Ina auf dem Kopf nicht halten. Das Kopftuch fällt, nachdem sie sich nach vorne beugt über das Gesicht und die dabeistehenden Iranerinnen müssen nun auch lachen. Dann bringt der Verkäufer eine Edelausführung mit Ärmeln und Kapuze, schwarz mit Silberstreifen vorne. Sie sieht richtig gut aus in dem Tschador, dass auch die Iranerinnen begeistert sind. Sie kommen, berühren Ina und wünschen ihr Glück. Ina ist sehr aufgeregt, als wir zum Heiligtum laufen. Ich auch. Bei der Kontrolle ist alles wieder gut. Heute ist Freitag und es sind noch viel mehr Menschen da als gestern. Die Trommler haben schon getrommelt, die Gebetsteppiche in der Moschee sind gelegt, aber wir kommen durch bis zu einer Moschee, wo die Familien sind. Wir sitzen eine Weile mit den Betenden am Boden, schauen wer kommt und geht und hören den Vorbetern zu. Dann wollen wir weitergehen, aber der Innenhof vor dem Allerheiligsten ist dicht besetzt mit Pilgern. Wir laufen zurück. Es ist eine für mich überwältigende Erfahrung, unter Hunderten von schwarzgekleideten Frauen, Hunderten von Männern, eine Ausländerin und Andersgläubige zu sein. Erkannt zu werden als Fremde, als Außenseiterin, geduldet zu sein.
8. Mai Mary - Merv
Schnell im Supermarkt Wasser kaufen und einsteigen in den Bus. Mary ist eine moderne Stadt mit vielen Bauten aus der Sowjetunion. Breite Straßen, die man jedoch leichter überqueren kann als die im Iran, auch weniger Verkehr. Elena entschuldigt sich dauernd für die schlechten Straßen und die Zimmer. Sie spricht sehr gut Deutsch und freut sich auf ihren Urlaub in Deutschland. Nachdem wir uns bei der Polizei haben registrieren lassen, fahren wir nach Merv, die alte historische Stadt. Wir besichtigen alte Steine und am Fuße eines kleinen Hügels können wir diesen besteigen und haben eine herrliche Aussicht auf das alte Merv. Hier gibt es kleine Seen und einen Bewuchs mit kleinen Bäumen und Büschen. Der Wind spendet Kühlung.
Im Hotel ist für mich erst einmal etwas Ruhe angesagt und dann schlendern wir, was wohl, durch den Bazar. Allerdings sehen wir noch einen kleinen Ausschnitt aus den Proben für den morgigen Tag der Befreiung. Ein Feiertag, der mit einem historischen Spiel auf der Straße begangen wird. Im Bazar sehen wir eine Braut fertig geschminkt und angezogen, starr wie eine Puppe im Schaufenster. Sie sitzt hier nicht zur Dekoration, denn wir werden sie am Abend in unserem Hotel sehen und vor ihr stehen. Denn als wir eintreffen, begegnen wir dem Brautvater. Er lädt uns ein und plötzlich sitzen wir beim Essen in dem Raum für die Männer. Ohrenbetäubende Musik beschallt die Gesellschaft. Wir essen und trinken und dann führt uns der Brautvater zum Brautpaar, das immer noch bewegungslos an seinem Platz sitzt und mit wechselnden Personen fotografiert wird. Wir haben eine kleinere Summe Geld an den Brautvater überreicht, der es seiner Tochter zusteckt. Ich tanze mit den Frauen und alles wird auf Video aufgenommen. Wir stehlen dem Brautpaar fast die Schau und so verabschieden wir uns. Trinken mit unseren Mitreisenden noch einen letzten Trunk und gehen in unsere zellenähnlichen Zimmer.
9. Mai Mary –Buchara/Usbeskistan
Heute bei der Abreise und bevorstehender Grenze heißt es wieder früh wegfahren. Um 8 Uhr stehen wir parat. Die Sonne scheint, nachdem es in der Nacht wieder geregnet hat. Wer unter uns der Regenmacher ist, haben wir noch nicht ausgemacht. Aber die Wolken folgen uns. Wir fahren durch die turkmenische Tiefebene. Und dann kommt ein großer Knüller: Wir überqueren eine Pontonbrücke, die über den Oxus führt. Einen solch breiten, reißenden Strom habe ich noch nie zu Fuß überquert.
Aus Sicherheitsgründen verlassen wir den Bus, bewaffnet mit Wasser, Sonnenhut und Sonnenbrille Oh weh, der Fluss hat Hochwasser. Dicht über dem Wasser geht die Überquerung los. Ein Kilometer liegt vor uns. Das Wasser bringt sehr viel Lehm mit, es ist braun und viele Äste werden mitgerissen. Kommt ein Lastwagen, biegt sich die Brücke fast 10 cm und ich muss sehr konzentriert gehen, damit ich nicht über diese Unebenheit stolpere. Wir laufen im Gänsemarsch, neben uns die Autos. Viel Luft zwischen den Pontons und dem Wasser gibt es nicht. Es dürfen keine Bilder gemacht werden wegen eventueller Spionage. Dafür hätte ich allerdings auch keine Zeit und kein Auge frei. In ungefähr der Mitte bleibe ich kurz stehen und versuche mir vorzustellen, ob ich wohl schwimmen könnte, wenn ich müsste. Bei dieser Strömung sicher nicht. Es ist ein gigantisches Gefühl, so der Natur ausgeliefert zu sein. Die Einheimischen beobachten aufmerksam den Fluss, um ggf. die Brücke zu sperren. Wir erreichen das Ziel und alle sind erleichtert, heil angekommen zu sein. Der Bus kann auch gleich fahren, da nicht viel Verkehr ist und Stefan nimmt uns in Empfang.
Die Fahrt geht weiter. Wir biegen von der Hauptstraße ab und finden einen schönen Platz am Fluss, wo wir Picknick machen können. Es ist wie immer so gut, dass ich wieder viel zu viel esse. Und dann stellt sich heraus, dass wir kurz vor der Grenze sind. Wir nehmen Abschied von Elena und verschwinden schon in dem kleinen Zollgebäude. Wir bekommen jeder ein Formular in zweifacher Ausfertigung in kyrillischer Schrift, das wir ausfüllen müssen. An der Wand hängt ein Muster auf Englisch, wie wir dieses Formular auszufüllen haben. Da zwei mit ihrem Formular schon durchgekommen sind, schreiben wir dieses ab und füllen etliche Spalten falsch aus. Ich schreibe auch, dass ich eine Turkmenin bin. Zum Glück übernehme ich nicht die Devisen. Ich komme noch durch, der junge Beamte schaut mich aber schon komisch an, wahrscheinlich denkt er, dass ich halt schon alt bin und ein wenig daneben. Die anderen, die bei mir abgeschrieben haben, müssen einen neuen Zettel ausfüllen.
Und doch sind wir auch dieses Mal schnell über der Grenze, nach 2 Stunden sitzen wir im Bus mit unserem neuen Führer Murat. Er ist ein bisschen streng mit uns. Aber wir gewöhnen uns aneinander. Er macht etwas langsamer und wir etwas schneller - je nachdem, wie viel wir fotografieren oder uns eben nach etwas anderem umschauen wollen. Wir sind jetzt wieder in einem großen Hotelkomplex untergebracht. Das hat den Vorteil, dass wir in 10 Minuten in die Altstadt laufen können. Eine besonders schöne Stelle ist dabei: An einer kleinen Kreuzung sind immer Kinder jeden Alters, die spielen, herumtollen und uns großen Spaß machen.
Zum Abendessen führt uns Murat zum „Laber-Platz“. Der Name kommt jedenfalls nicht von Laber-Laber, obwohl ich den Eindruck schon gleich am ersten Abend habe. Am Rand des Platzes sind Tische an einem kleinen künstlichen See installiert. Uralte Maulbeerbäume aus dem 14. Jahrhundert stehen hier und spenden Schatten. Enten und Gänse bevölkern das Wasser. Viele Menschen sitzen hier, Einheimische und Touris, genießen ein gutes Essen und labern. Bei dunkler Nacht, es gibt keine Straßenbeleuchtung, kehren wir zum Hotel zurück.
10. Mai Buchara
Mit Murat besichtigen wir heute Grabmäler, Medresen, Minarette, Moscheen. Es ist wunderbar, diese Bauwerke alle zu sehen und durch den Bazar zu gehen. Hier hat Murat allerdings größte Schwierigkeiten, uns Frauen von den Ständen wegzubringen. Er sagt zwar, dass wir am Nachmittag Zeit hätten, aber was versteht schon ein Mann, wenn wir Westlerinnen in einen so schönen östlichen Bazar kommen? Hunderte Dinge gibt es zu bewundern, zu betasten und zu überlegen, ob man diesen oder doch lieber jenen Gegenstand kaufen sollte. Es ist sehr schwül und das Gehen fällt schwer. Unser Regenmacher beschert uns heute ein tolles Gewitter, das wir in einer Medrese verbringen. Es schüttet, Murat will weiter, aber wir wollen im Trockenen bleiben und so schlendern wir durch die Säulengänge der Moschee oder Medrese.
Der Durchfall breitet sich in der Gruppe aus und immer wieder wird dringend ein Häuschen gesucht. Hans-Peter hatte uns ja schon gesagt, dass es uns einmal erwischen wird aber ich hoffe doch noch davonzukommen-
Also: Wir hörten und hören viel von der vergangenen und aktuellen Geschichte der Länder. Aber das will und kann ich nicht alles aufschreiben - schon deswegen nicht, weil ich keine Zeit dafür habe. Ich müsste, so wie heute, eine Nachtschicht einlegen. Ich nehme mir vor, zu Hause nachzulesen. Jetzt will ich einfach „erleben“!
Es ist wunderbar, durch die Stadt zu gehen und all diese großartigen Gebäude zu sehen. Um 18 Uhr gehen Monika, Birgit und ich in das Marionettentheater. Es ist sehr schön. Die jungen Leute spielen ein Stück in englischer Sprache, mit dem Inhalt, dass ein junges Paar zusammengeführt wird und heiratet. Es ist recht lustig, ich verstehe nicht alles, schlafe mal kurz ein, was Monika rechts neben mir auch passiert. Die Mädchen tanzen auch vor der Bühne in hübschen landestypischen Kleidern. Die Musiker sind drei junge Männer. Das Stück beginnt mit einem Trommler, der Zweite kommt in Windeseile von draußen und nach kurzer Zeit schiebt der Dritte sein Fahrrad hinter die Bühne und gesellt sich dann mit seiner Trommel dazu. Wir sind 13 Zuschauer und als Gastgeschenk erhalten wir ein kleines Deckchen als Andenken. Zum Schluss tanzt ein junger Mann mit einer auf den Bauch gebundenen Puppe den Hochzeitstanz.
Vor der Vorstellung hat Birgit schnell noch einen Termin für den nächsten Tag für uns drei im Frauen-Hamam gemacht und ich bin sehr neugierig, was da auf mich zukommt.
11. Mai Buchara
Was steht auf dem Programm? Moscheen! Also los. Wir besichtigen die Freitagsmoschee mit ihren Holzpfeilern aus Nussbaum und bemalt. Wir laufen zu dem großen Palast, sitzen dort und trinken Tee, bewundern einen Aussichtsturm aus der Sowjetzeit, besuchen das Museum und setzen uns mit der alten Zeit auseinander. Ich fahre mit dem Bus zurück zum Hotel, schlafe erst einmal eine Stunde und bereite mich dann auf den Hamam vor. Monika und ich finden den Hamam auch wieder und so gehen wir erwartungsvoll mit Birgit hinein. Es ist wunderbar. Die Wärme, die Massage und der Tee…
Leider kann ich heute Abend nicht mit zur Folklore und zum Essen gehen. Es scheint mich erwischt zu haben mit dem Durchfall.
12. Mai Buchara -Samarkand
Ich fühle mich schlapp, habe Bauchschmerzen, kann nicht essen, es ist mir einfach elend. Herbert geht es auch nicht gut. Er hat seit fast zwei Tagen nichts mehr gegessen, hatte Fieber und wir beide bilden heute das Lazarett, betreut von unserer „Schwester Maria Ina“ die für uns Bananen einkauft, Tee bereitet und uns gut zuredet. Wir sind also gut aufgehoben. Essen kann ich nicht viel. Ein wenig Brot… Beim Mittagessen legen Herbert und ich uns neben den Tisch und schlafen. Auch im Bus verschlafe ich heute fast den ganzen Tag.
Doch beim Besuch einer Seidenraupensucht, die heute nur noch von Familien durchgeführt wird, bin ich hellwach. Murat fragte auf der Straße, wohin wir wohl gehen könnten und ein kleiner Junge führt den Bus als unser neuer Guide zu seiner Familie. Das Dorf ist für mich auferstanden aus längst vergangenen Tagen. Der Backofen steht neben dem Haus. Hühner, Kühe, Kälbchen, Hunde laufen durch die Felder. Die Straßen sind unbefestigt. Es staubt. Schnell spricht sich herum, dass Fremde durch das Dorf gehen. Der rote Bus ist auch nicht zu übersehen. Der Bauer zeigt uns das kleine Haus, in welchem viele, viele Seidenraupen sich an den Maulbeerblättern sattfressen. Murat erklärt, wie die Entwicklung der Raupen vonstattengeht und wir sind begeistert von den freundlichen Menschen, die uns mit gleicher Neugier bestaunen, wie wir sie. Die ganze Gesellschaft begleitet die Fremden die Straße zurück zum Bus, den sie von allen Seiten betrachten.
Inge Stagneth