Erfahrungen der iranischen Art
Liebe BlogleserInnen,
Das Nähkästchen hat sich wieder gefüllt:
Die Polizei, Dein Freund und Helfer....
Um 8.15 Uhr starten wir in Täbriz Richtung Teheran, alle sind fröhlich und guten Mutes. Die Sonne lacht und wir kommen zügig aus der Stadt. Wenn das so weiter geht, sind wir spätestens um 18.30 Uhr in Teheran. Etwa bei Kilometer 110 auf der Autobahn bremst der Bus, der Scheff ruft „Mädels, Kopftuch, Polizei“. Wir büscheln (richten) blitzartig unsere Kopfbedeckungen, es wird mucksmäuschenstill im Bus, wir spitzen die Ohren und verstehen doch nur „Bahnhof“. Einer der Polizisten kommt in den Bus und will die Papiere sehen (nicht unsere, die vom Auto). Er steigt wieder aus und wir fahren langsam hinter dem Polizeifahrzeug Richtung nächste Ausfahrt. Der Scheff klärt uns auf: Die Polizei hat behauptet, wir seien mit mindestens 120 gefahren (statt 100), das geht aber gar nicht, da der Bus bei 100 plombiert ist, wir können gar nicht schneller fahren.
Um das Gesicht nicht zu verlieren, wollen die Polizisten alle Papiere sehen und entdecken dabei, dass ein Stempel fehlt (hat der Beamte bei der Einreise in den Iran verschlampt). Anstatt uns nun den fehlenden Stempel in der nächsten Stadt holen zu lassen (die wäre etwa 5 km entfernt) verlangen sie, dass wir zurück nach Täbriz fahren. Also zurück auf die Autobahn und 1 1/2 Stunden retour. Um 12 Uhr landen wir nur wenige 100 Meter (fast in Sichtweite) von unserem Hotel auf einem Parkplatz vor einer Polizeikaserne (Informatikabteilung der Täbrizer Polizei). Hans-Peter und Reza schnappen sich ein Taxi und fahren zur Hauptwache bzw. zum Polizeidepartement, um zu versuchen an den „richtigen“ Stempel zu kommen.
Wir machen uns derweil auf die Socken Richtung nahe gelegenem Park. Dort hat’s Bänklein und vor allem ein Hüsli. Wir werden bescheiden, dreckig hin oder her, Hauptsache wir können uns erleichtern (übrigens, ich hab’s gelernt, ich kann jetzt auch stehend brünzeln!). Ina hat Biskuits und das letzte Obst aus dem Bus mitgenommen die wir als Mittagsmahl essen – großen Hunger haben wir eh nicht.
Um 14.45 Uhr dann – große Erleichterung – kommen Hans-Peter und Reza im Taxi angerauscht mit dem richtigen Stempel in den Papieren. Dank einem netten Beamten dauerte die ganze Aktion „nur“ knappe 3 Stunden!! Der Scheff steigt mit einem riesigen Bündel Fladenbrot auf dem Arm aus dem Taxi. Wir können endlich wieder abfahren. Das Brot samt Resten vom letzten Picknick (für jeden/jede) ein bisschen Wurst und Käse und ausreichend Brot, herrlich! Statt am frühen Abend fallen wir dann nachts um 23 Uhr todmüde und bei strömendem Regen, aber mit immerhin 23 Grad schön warm, aus dem Bus.
Während die Koffer auf unsere Zimmer gebracht werden, können wir uns an den Resten des (wohl all-)abendlichen Buffets laben. Dass vieles fehlte, war uns wurscht, Hauptsache wir sind glücklich und sicher gelandet. Und schon bin ich wieder beim Thema...
Hotels
Beim Zimmerbezug in Teheran stellte sich dann leider heraus, dass das ehemals gut geführte 4-Sterne Haus total heruntergekommen ist. Es lebt ganz nach dem Motto außen hui und innen pfui, von außen sieht es nämlich todschick aus. Die Zimmer waren dann von der miesen Sorte, wir wurden wohl auch in den schlechtesten Zimmern untergebracht. Verfleckte Teppiche, unappetitliche Decken, Fenster, die nur mit brachialer Gewalt geöffnet werden konnten (oder wie bei einer Kollegin mit Brettern zugenagelt waren; sie konnte das Zimmer wechseln!). Eine richtige Absteige halt. Kurz: Wir waren froh, nur 2 Nächte dort zu sein. Ich habe geschimpft, wie ein Rohrspatz (und war nicht alleine damit), aber natürlich haben wir uns damit abgefunden und darüber faule Sprüche geklopft. Dem Scheff war die Sache etwas peinlich, er kann ja auch nichts dafür, denn letztes Mal war das Hotel noch ganz okay (das sagen alle, die schon mal da waren).
Die große Belohnung genießen wir dafür jetzt. Das Abassi-Hotel in Isfahan ist ein absoluter Traum. Eine Oase der Schönheit und Ruhe. Wir schätzen diesen Luxus nach dem Flop in Teheran umso mehr.
Geld und Bschiss
Hurra, wir sind alle Millionäre! Das Geld hier ist so wenig wert, dass man für 200 Euro (300 Schweizer Franken) knapp 3.000.000 (in Worten drei Millionen!!!) Rials erhält. Die Inflationsrate von Januar bis Ende April beträgt 41%. Der Iran scheint eine einzige große Gelddruckmaschine zu sein, der Kurs fällt täglich. Dies bedeutet für uns, dass alle Güter und Dienstleistungen fast gratis sind, aber die armen Iraner haben den Verlust von 41% ihres Einkommens innert 4 Monaten zu verkraften, schrecklich.
Die vielen Nullen auf den Noten hatten zur Folge, dass zwei unserer Mitreisenden mit einer 500.000-Note bezahlt haben und erst zu Hause bemerkten, dass sie nur auf 50.000 Rückgeld erhalten haben. Die eine Kollegin hat damit das Museum gesponsert (wir sehen das als Irrtum an), die andere wurde im Hotel übers Ohr balbiert, das schmeckt schon sehr nach Bschiss. Die beiden buchen das unter „Erfahrung“ ab, der Verlust ist verkraftbar (je ca. 35 Euro)
Bestohlen wurde auch jemand aus unserer Gruppe. Typische Situation an einer Bushaltestelle: Gedränge und Geschubse, zudem neugierige Sittenwächter (vor denen machen wir uns möglichst unsichtbar, falls das Kopftuch nicht ganz sittenkonform sitzt), und schon waren das Portemonnaie und eine kleine Kamera weg.
Und da sind wir beim Thema:
Das Kopftuch
Seit dem Grenzübertritt laufen wir also verschleiert durch die Gegend, auch im Bus muss es sein, im Hotel selbstverständlich auch. Nur die Zimmer sind kopftuchfreie Zone (der Balkon gehört aber nicht dazu). Wir sehen aus wie eine Mischung aus Mutter Theresa und Schleiereulen. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt und tragen unsere Tücher schon (fast) ganz selbstverständlich. Dass im Hotelgarten so etwa alle halbe Stunde via Lautsprecherdurchsage die Gäste darauf aufmerksam gemacht werden, das Kopftuch ja nicht sittenwidrig zu tragen, hat uns aber doch etwas befremdet (gelinde gesagt).
In Ghom wurde es dann allerdings heftig. Weil wir zur Zeit des Freitagsgebets die Moschee besuchen wollten, konnten wir nur mit Tschador in den inneren Hof rein. Wir erhielten welche am Eingang geliehen. Es sind riesige Tücher (Größenordnung Bettüberwurf – vom Doppelbett natürlich). Allein das Anziehen war ein Kampf mit dem Stoff. Mir hat ein junger Aufseher dabei geholfen (das darf er wohl nur bei Frauen, die wie ich, die Menopause hinter sich haben). Wir rafften also unsere Stoffe mit beiden Händen (von innen, die Hände soll man nicht sehen!) und gingen über den Hof (der Lieni hat mich überholt und ganz leise den „Morgestraich“ gepfiffen, dabei hatte ich doch gar kein Kopflatärnli an!!). Wir wurden von einem Mullah erwartet, der uns mit viel Blabla den Islam näherbringen wollte. Bevor wir den Raum betreten durften, mussten wir aber die Schuhe ausziehen. Jetzt mach das mal, wenn beide Hände besetzt sind, es war ein einziger Krampf. Ich hätte heulen können beim Gedanken, dass die halbe erwachsene Bevölkerung dieses Landes in 5 Quadratmeter Stoff gefangen (denn so kam ich mir darin vor) gehalten wird. Freiwilligkeit könnte ich gut akzeptieren. Der Zwang ist’s der so deprimiert.
Dafür freuen wir uns immer, wenn wir sehen, wie die jungen Frauen, die Kleiderordnung bis aufs Äußerste strapazieren. Da sitzt dann das Kopftuch ganz locker hinten am Kopf, die langen Mäntel werden hauteng getragen, da blitzen moderne Sneakers und Jeans hervor oder schicke enge Hosen und High Heels, einfach herrlich. Man sieht jede Menge junger Mädchen mit Pflaster auf der Nase, die lassen sich die Nase richten, weil sie finden, die ihre sei zu breit.
Dies & Das
Erfreuliche Nachrichten aus der Zahnarztpraxis. Inge, unserer Freundin, die sich in Istanbul beinahe von einem Fenster erschlagen ließ, wurden gestern die Fäden gezogen. Alles ist gut verheilt, die Lippe nicht mehr geschwollen und das „Veilchen“ ist wieder ein ganz normales Auge. Dafür musste sich unsere neue Reisegenossin, die in Teheran zu uns gestoßen ist, einen Zahn ziehen lassen. Dabei war sie vor der Abreise noch beim Zahnarzt, weil sie das Gefühl hatte, dass an dem Zahn was nicht stimmt. Der (deutsche) Zahni hat beruhigt, da sei alles in Ordnung. Kaum in Teheran angekommen, überfielen sie aber heftige Zahnschmerzen. Ein Röntgenbild zeigte dann gestern, dass besagter Backenzahn gespalten war und gezogen werde musste. Aber auch hier gibt’s ein Happyend: Der Zahn ist raus und die Schmerzen verschwunden.
Unsere „neue“ Reisegenossin ist ein Nordlicht (ein sehr nettes, es hat sich nahtlos in unsere Gruppe integriert), jetzt ist aus mit alemannisch schwätze, wir sprechen jetzt öfter nach der Schrift.
Die Menschen im Iran sind alle sehr freundlich, die Händler in den Bazars sind zurückhaltend. Wir haben befürchtet, überall zum Einkauf bequatscht zu werden, das trifft nicht zu, wir sind angenehm überrascht. Dafür werden wir nonstop von Kindern und Jugendlichen angesprochen. Ganze Schulklassen umringen uns oft, wollen Fotos machen (die Kids haben auch hier alle Handys), sie probieren ihre zwei bis drei englische Wörtlein an uns aus und kichern, kichern, kichern. Aber auch wir kugeln uns oft vor Lachen. Im Museum in Teheran hatten die Lehrer ihre liebe Mühe mit ihren Zöglingen, denn die wollten sich partout nicht mehr für die Ausstellung begeistern lassen, wir waren für sie viiiel interessanter.
Aber auch Studentinnen sprechen uns oft an, wollen wissen, was wir von ihrem Land halten und/oder beklagen sich über ihre Lebensumstände. Solche Begegnungen sind sehr schön, machen uns aber auch nachdenklich und traurig, wir wünschen uns sehr, dass diese liebenswerten Menschen so bald als möglich ein freieres Leben haben mögen – wenn möglich auf friedlichem Wege, ohne Bürgerkrieg.
Soviel für heute. Morgen zieht die Karawane weiter, uns erwartet eine Nacht in der Wüste. Übrigens, wir haben schon etwa 5.200 Kilometer mehr auf dem Tacho, dazu kommen noch ca. 800 km Seeweg, nicht schlecht, oder?!
Salam
Heidi Bisang
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